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Gegen kritische Fragen hilft kein Wutausbruch

Von Christoph Rella

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Reporter wie Zheng Yibing vom chinesischen TV-Sender CGTN - das sind Journalisten nach dem Geschmack von Yan Jiarong. Drei Fragen hatte der gute Mann für sein Interview mit der Sprecherin des chinesischen Organisationskomitees zwei Tage vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking vorbereitet, und sie antwortete pflichtbewusst - mit hübschen, offensichtlich auswendig gelernten Sätzen, die dem Zuseher gegenüber eher den Eindruck erweckten, es mit Alexa oder Siri in Fleisch und Blut zu tun zu haben. Die Kuschelfragen über die Vorbereitungen, das Motto der Spiele und die Corona-Situation meisterte sie jedenfalls mit Bravour.

Dass Jiarong aber auch anders kann, nämlich authentisch und emotional auf (unvorbereitete) Fragen reagieren, hat sie nun am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz in Peking unter Beweis gestellt. Als internationale Medienvertreter den Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees, Mark Adams, über die Unterdrückung der Uiguren oder die Marginalisierung Taiwans bei Olympia befragten, platzte der sonst immer ruhigen Sprecherin der Kragen, sie fiel den Reportern mehrfach ins Wort und holte zu einem Rundumschlag aus: Die Berichte über die Uiguren seien "Lügen", polterte sie und hielt mit Blick auf Taiwan fest, dass es sich bei dem seit 1949 unabhängigen Inselstaat nach wie vor um einen Teil Chinas handle.

Angesichts der überschießenden Reaktion muss man sich fragen, ob nicht an den Vorwürfen erst recht etwas dran ist. Dass Adams keine Anstalten gemacht hat, für das IOC Position zu beziehen - und sei es nur, dass er Jiarongs ungefragte Kommentare in die Schranken gewiesen hätte -, ist freilich fast peinlich. Aber auch so wird diese Pressekonferenz, auch wenn kaum ein Chinese jemals etwas darüber erfahren wird, als Sternstunde des Journalismus in die Geschichte eingehen, weil sie wieder einmal Chinas Schwäche und Angst vor unabhängigen und kritischen Medien offenbart hat. Die Welt besteht halt nicht nur aus CGTN und Co. Gott sei Dank.