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Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen

Von Robert Sedlaczek

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Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Haymon "Sprachwitze. Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln. Mit mehr als 500 Beispielen" erschienen.

Benjamin Franklin - wieder einmal falsch zitiert.


Für Amerikaner gilt Benjamin Franklin, ein Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung, als einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten. Wir hingegen denken an seine wissenschaftlichen Leistungen: Er erfand den Blitzableiter und die Bifokalbrillen, auch der Franklin-Stove (ein mit Metall ausgekleideter Kamin) ist nach ihm benannt. Im Zuge seiner verlegerischen, schriftstellerischen und politischen Tätigkeit erwies sich Franklin als ein ausgezeichneter Kommunikator. Deshalb wird er auch heute immer noch gerne zitiert.

Zurzeit kann man oft seinen Satz lesen: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren." Das Zitat wird häufig verwendet, um die Überwachung der Bürger mit modernen Technologien zu kritisieren.

Auch auf der Website der neuen Partei MFG - ein Kürzel für "Menschen, Freiheit, Grundrechte" - ist der Satz zu finden, es dürfte sich um eine Art Motto der Impfgegnerpartei handeln. Vermutlich meint die MFG die "Freiheit", sich nicht gegen Covid impfen zu lassen, keine Corona-Tests zu machen und keine Schutzmaske zu tragen. Die sofortige Aufhebung aller Corona-Schutzmaßnahmen steht seit jeher ganz oben auf der Agenda der Kleinstpartei, egal wie die Infektionszahlen aussehen und wie stark die Spitäler belegt sind.

Wie immer bei Zitaten aus einer fremden Sprache lohnt es sich auch in diesem Fall, einen Blick auf das Original zu werfen: "Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety." Es geht also nicht um die Freiheit schlechthin, sondern lediglich um einige wichtige Wesenselemente der Freiheit, und es geht nicht um die Sicherheit schlechthin, sondern lediglich um eine kurze und vorübergehende Sicherheit. Das sind beachtliche Abweichungen vom Original. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt zulässig ist, den Namen Benjamin Franklin unter die vereinfachte Form des Zitats zu setzen.

Aber noch wichtiger ist eine Klärung, in welchem Zusammenhang Franklin diesen Satz formuliert hat. Wir müssen uns dazu in die Frühphase der Kolonialisierung Nordamerikas zurückversetzen. Es ging damals um einen Steuerstreit zwischen der Generalversammlung von Pennsylvania und den Penns, der seinerzeitigen Eigentümerfamilie der Kolonie Pennsylvania. Der Gesetzgeber versuchte, das Land der Penn-Familie zu besteuern, um die Grenzverteidigung während des Franzosen- und Indianerkrieges zu finanzieren und Überfälle auf Grenzstädte hintanzuhalten. Die Familie Penn ihrerseits bekämpfte die Besteuerung, drängte den Gouverneur, ein Veto einzulegen, und bot lediglich eine einmalige Zahlung an, um sicherzustellen, dass die Generalversammlung nicht besteuern durfte. "To purchase a little temporary Safety" war also damals wörtlich gemeint. Franklin hielt die Vorgangsweise der Penns für einen Affront gegenüber dem Gesetzgeber.

Das Zitat diente also dazu, eine Besteuerung zugunsten von Verteidigungsausgaben zu rechtfertigen. Es wird auf die Autorität des Gesetzgebers gepocht, im Interesse der kollektiven Sicherheit zu handeln. Das ist so ziemlich das Gegenteil von jener Bedeutung, die dem Satz heute vielerorts zugeschrieben wird.