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Putin müsste "Boris" hassen

Von Christoph Irrgeher

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"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Wer einen Thron erobert, erhält oft nicht nur ein gekröntes Haupt, sondern auch schmutzige Hände dazu. Etliche Opern behandeln diesen Zusammenhang, ein diesbezügliches Meisterwerk hat Modest Mussorgski komponiert: "Boris Godunow" porträtiert den Aufstieg und Fall des gleichnamigen Zaren und verdeutlicht, wie wenig sich die Zwistigkeiten in der politischen Schaltzentrale eines Weltreichs mit Moral vereinbaren lassen und wie rasch dabei Blut fließen kann. Diese Oper ist keine Hagiografie eines Monarchen, sondern vielmehr eine Warnung vor dem Leid und Elend, das die Machtgier eines Einzelnen über Millionen bringen kann - gestern wie heute. Russlands Präsident Wladimir Putin müsste diese Oper tief in seinem Inneren hassen.

Umso unbegreiflicher, dass sie im Westen seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine einen schweren Stand hat und nun an der Mailänder Scala verhindert werden soll. Das Haus plant, seinen Saisonbeginn am 7. Dezember mit der Zaren-Oper zu bestreiten. Der ukrainische Konsul macht dagegen aber öffentlich ebenso Stimmung wie eine Unterschriftenliste. Warum? Einfach, weil der "Boris" aus Russland stammt.

Es ist Scala-Intendant Dominique Meyer hoch anzurechnen, dass er sich klar gegen diesen Druck stellt. Bei aller Solidarität mit den leidgeprüften Menschen in der Ukraine - man sollte sich nicht in die hässlichen Niederungen des Nationalismus begeben. Und man sollte keinen Opernklassiker verbannen, der einem Despoten wie Putin eher ein Dorn im Auge als ein Labsal sein müsste.