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Obama - guter Redner mit Nobelpreis

Von Engelbert Washietl

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Helden schauen nach zwei Jahren Heldentum anders aus. Der amerikanische Präsident erleidet in der Nahostpolitik einen Absturz.


Warum das ehrwürdige Nobelpreiskomitee in Oslo nach Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten Barack Obama diesem den Friedensnobelpreis verlieh, war selbst dem Gewürdigten nicht ganz klar. Die Auszeichnung habe einer "Vision" gegolten, sagte Obama bei der Übernahme des Preises im Dezember 2009. Die Juroren hatten angemerkt: "Seine Diplomatie gründet auf der Vorstellung, dass diejenigen, die die Welt führen sollen, dies auf der Grundlage von Werten und Einstellungen tun müssen, die von der Mehrheit der Weltbevölkerung geteilt werden." Europas Hoffnung war groß.

Seit dem Vorstoß des Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas, einem Palästinenserstaat die Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen zu verschaffen, erscheint Obamas Nahostpolitik als Desaster. Auch wenn die Etablierung eines Palästinenserstaates weit problematischer ist als eine Abstimmung in der UNO-Vollversammlung, so zeigte sich klar, dass es keine Mehrheit der Weltbevölkerung geben wird, die für die Veto-Drohung Obamas Verständnis hätte. Er zog die Notbremse, um zu verhindern, dass Washingtons Diplomatie nach dem Scheitern seiner Bemühungen um die Wiederbelebung von Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern völlig außer Kontrolle gerät.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zeigt ihm andererseits schon seit Monaten, wie ernst amerikanische Mahnungen genommen werden - nämlich überhaupt nicht. Die Errichtung neuer Siedlungen im besetzten Jordanland geht provokant weiter, obwohl Obama einen Siedlungsstopp verlangt hat. Aber in seiner Rede vor der Vollversammlung stellte sich der Präsident nahezu bedingungslos an die Seite Israels, womit die Vermittlungskompetenz der USA ramponiert ist. US-Innenpolitik dominiert die Außenpolitik. Im nächsten Jahr ist Präsidentenwahl.

Die Entwicklung bringt nicht nur die Palästinenser gegen die USA auf, sondern strahlt bis in das geistig-kulturelle Klima ab. Bei seinem Besuch in Kairo hatte Obama am 4. Juni 2009 in einer seiner vielbeachteten Reden "einen Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Muslimen überall auf der Welt" angesagt, um den seit dem Attentat von 9/11 entflammten Weltkulturkampf einzudämmen. Wie immer faszinierte Obama. Ist davon noch etwas übrig? Visionen gab und gibt es dort, wo arabische Völker, ausgehend von der Jasmin-Revolution in Tunesien, um ihre Freiheit gegen die Despoten in ihren eigenen Staaten kämpfen. Die Umorientierung ist überall im Gange, aber der amerikanische Präsident hat wenig dabei zu sagen.

Israel, das bisher keine Anstalten gemacht hat, sich auf die Veränderungen einzustellen, mag in der Welt politisch isoliert sein, aber das ist auch nicht beruhigend. In Israel gab es Demonstrationen - durchaus verständliche gegen soziale Ungerechtigkeiten im Lande, aber keine, die den Mangel an aktiver Friedenspolitik aufs Korn genommen hätten. Rechnet man die Zerrissenheit im Palästinenserlager hinzu, ferner die grundsätzliche Unkontrollierbarkeit der Vorgänge im chronischen Krisenraum Nahost, dann sind die Aussichten trüb. Obama bemerkte dieser Tage, dass die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise im Rest der Welt Beunruhigung erzeuge. Da hat er recht. Aber es könnte über Nacht ein zweiter Unruheherd dazukommen, wenn er sich nicht zu einer unparteiischen und wohlüberlegten Politik für den Nahen Osten aufrafft.

Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus.