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Yu, Demokrat in China

Von Alexander U. Mathé

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Ein Philosoph und Politologe ist seit Jahren das Sprachrohr der offiziellen Reformbewegung in Peking. Nun wird auch der Westen auf ihn aufmerksam.


Demokratie ist eine gute Sache. Klingt banal, ist es aber nicht. Vor allem nicht, wenn man es in einem autoritär regierten Land mit einem Einparteiensystem behauptet. Genau das hat aber Yu Keping getan. Vor fünf Jahren schrieb der 52-jährige Chinese einen Essay mit genau diesem Titel und sorgte damit nicht nur in der Volksrepublik für Aufsehen, sondern überraschte auch Beobachter im Westen. Noch dazu ist Yu nicht gerade das, was man einen Feind Pekings nennen würde: Er ist ein hochrangiges Mitglied der kommunistischen Partei.

Yu hat in Philosophie und Politikwissenschaft promoviert und unterrichtet an der Universität Peking. Sein akademischer Weg führte ihn in den Westen. 1994 unterrichtete er in den USA als Gastprofessor an der Duke University. Ein Jahr später war er Gastprofessor an der Freien Universität Berlin. Yu ist zudem an der Elite-Universität Harvard Mitglied im Zentrum für demokratische Regierung und Innovation.

Wieder in China wurde Yu Leiter des Instituts für vergleichende Politik- und Wirtschaftswissenschaft. Außerdem war er stellvertretender Direktor des Büros für Aufzeichnung und Übersetzung, das direkt dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei angegliedert ist. Seit 2003 leitet er das Zentrum für chinesische Regierungsinnovation.

Unterm Strich ist Yus Stimme eine, die Gehör findet. So führte seine Demokratieforderung zu lebhaften Diskussionen, in denen Yu unter Parteitheoretikern Anhänger fand. Seither meldet sich Yu regelmäßig zu Wort und fordert Reformen.

Liest man seine Thesen, kann sich der Eindruck aufdrängen, Yu habe eine verklärte Vorstellung davon, was Demokratie ist. So schreibt er: "Demokratie garantiert die Grundrechte der Menschen und bietet ihnen gleiche Chancen." Doch vielleicht steht für ihn Demokratie für mehr: für einen antiautoritären, humanitären Wandel Chinas.

Es ist wohl ein schmaler Grat zwischen Kritik und Verhaftung, den Yu beschreitet. Doch er sagt bloß: "Ich bin nur ein Gelehrter, der an akademischer Recherche interessiert ist."

Yu ist nicht unumstritten. Kritik kommt nicht nur von Parteikadern, sondern auch von Dissidenten. Der im kanadischen Exil lebende ehemalige Anwalt Guo Tianguo merkte etwa an: "Er verdankt seinen Posten Präsident Hu Jintao. Er ist ein Feigling." In der Tat gilt Yu als staatsnah und fungiert dem Vernehmen nach als Berater Hus sowie von Premier Wen Jiabao.

Einer Reform von innen wäre dies wohl durchaus zuträglich. Auch international gewinnt Yu zusehends an Aufmerksamkeit. Das renommierte US-Magazin "Foreign Policy" hat ihn jüngst an die 10. Stelle der 100 wichtigsten globalen Denker des Jahres 2011 gewählt.