Zum Hauptinhalt springen

Von Kindern und Waisen

Von Martyna Czarnowska

Kommentare

Auch im säkularisierten Tschechien gibt es das Bedürfnis nach religiösen Riten - wie das Begräbnis Vaclav Havels gezeigt hat.


Die Rotunde ließ noch der erste Vaclav errichten, der Heilige und Schutzpatron von Böhmen. Teile davon wurden später in den Neubau im gotischen Stil integriert. Und seit damals haben auch andere Vaclavs im Veitsdom auf der Prager Burg ihre letzte Ruhestätte gefunden: Wenzel II., Herrscher von Böhmen, oder Wenzel IV., der auch römisch-deutscher König war. Nun ist auch Vaclav Havel dort begraben, der Dichter und Schriftsteller, der frühere Präsident der Tschechoslowakei und dann der Tschechischen Republik.

Dass Havel kein Katholik war, sondern ein Agnostiker, der ein paar religiöse Neigungen miteinander verband, spielte dabei keine Rolle. Er war ein bedeutender Staatsmann und sollte ein Staatsbegräbnis bekommen. Überhaupt ist Tschechien einer der am stärksten säkularisierten Staaten in Europa; mehr als die Hälfte der Einwohner ist konfessionslos, etwas mehr als ein Viertel bekennt sich zum römisch-katholischen Glauben.

Ein Grundlagenvertrag mit dem Vatikan, der den Status der katholischen Kirche regeln sollte - und den so gut wie alle europäischen Länder geschlossen haben - ist erst vor ein paar Jahren zuerst am Veto im Parlament gescheitert und dann an der Weigerung von Präsident Vaclav Klaus, das Abkommen zu unterzeichnen. Die Kirche solle nicht zu viele Privilegien bekommen, meinte er damals.

Dennoch stecke in vielen Tschechen tief verborgen ein Hang zum Religiösen - und übrigens auch zum Kommunismus, was sie noch mehr verstecken. Das befand der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal schon nach den Umbrüchen von 1989. Dass die Kirche immer wieder gebraucht wird, zeigte sich auch an den Trauerfeierlichkeiten für Havel. Diesen bezeichnete der Prager Erzbischof Dominik Duka, der das Requiem leitete, als "Freund und Mithäftling".

Die beiden hatten einander 1981 im Gefängnis von Bory in Pilsen kennengelernt. Sie teilten zwar keine Zelle, doch konnten sie regelmäßig zu Gesprächen zusammenkommen.

Denn auch in der Tschechoslowakei waren Geistliche im Widerstand gegen das kommunistische Regime tätig. Allerdings hatte es nicht solche Ausmaße wie im benachbarten Polen, wo die Kirche eine derart mächtige Opposition bildete, dass ihr die Machthaber nicht beikommen konnten.

Dort hatte die Revolution daher auch eine konservative Seite, während sie in Tschechien in großen Maßen von linksgerichteten Kräften getragen wurde, die noch 1968 von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz geträumt hatten. Zwar gab es auch in Polen zahlreiche intellektuelle Dissidenten, doch von den vertretenen Werten her waren viele von ihnen dem rechten politischen Lager zuzuordnen - was eben die Folge des starken katholischen Einflusses war.

Der Schriftsteller Hrabal wiederum sah den Umsturz in seinem Land voller Sympathie als die Taten von Kindern und Schauspielern, die dann einen Dichter zu ihrem Präsidenten gemacht haben. Einige von ihnen werden sich bei ihrem Abschied von Vaclav Havel wohl wie Waisen vorgekommen sein.