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Als Österreich noch schön sein wollte

Von Walter Hämmerle

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Man stelle sich vor, honorige Politiker würden heute verlangen, die Schönheit wieder in ihre uralten Rechte einzusetzen. Fremdschämen wäre angesagt.


Es gibt ausgezeichnete Gründe, all jenen zu misstrauen, für die früher alles besser war. Nicht das schlechteste Argument sind dabei harte Fakten. Die Gegenwart schlägt diesbezüglich die Vergangenheit um Längen. Gottseidank.

Das gilt, grosso modo, auch für die Politik. Das Monolithische, Patriarchalische, diese "Mir san mir"-Mentalität, die SPÖ und ÖVP die längste Zeit über geprägt hatten, hat sich, wenn schon nicht aufgelöst, so doch aufgeweicht. Was allerdings auch nicht verwundert, immerhin sank der gemeinsame Wählerstimmenanteil von SPÖ und ÖVP seitdem von konstant und deutlich über 90 Prozent auf vergleichbar mickrige 55 Prozent. Aktuelle Umfragen lassen sogar ein Absinken auf unter 50 Prozent im Bereich des Möglichen erscheinen. Demut und Bescheidenheit sind da durchaus angebracht.

Vielleicht erklärt sich auch daher der nüchterne Pragmatismus, der von der Politik festen Besitz ergriffen hat. Spätestens seit Ende der 1980er Jahre gilt diesbezüglich das (Franz Vranitzky zugeschriebene, aber eigentlich von Helmut Schmidt stammende) Diktum, wonach einen Arzt brauche, wer von Visionen getrieben werde, und haben kühne Gedanken in der heimischen Politik Funkstille. Zumindest gilt dies für all jene, die nicht den baldigen Untergang Österreichs im Besonderen und des Abendlands im Allgemeinen zum schaurigen Gegenstand haben. Einzige Ausnahme von nennenswerter Relevanz blieb bis heute der Kampf um Österreichs Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Und das ist auch schon wieder 20 Jahre her.

Was es dagegen seit 30 Jahren gar nicht mehr gibt, ist der Versuch, Politik mit Fantasie zu betreiben. Heute würde sich kein vernünftiger Mensch hinstellen und ein "Manifest für die Schönheit" verfassen, wie es die Querköpfe Jörg Mauthe und Günther Nenning 1984 getan haben. "Das schöne Land Österreich wird immer häßlicher", lautete der programmatische erste Satz. Und weiter: "Wir stellen traurig fest, dass das Schöne in keinem Parteiprogramm auch nur erwähnt wird. Das Schöne wie das Gute sind aber die beiden fundamentalen Maßstäbe allen menschlichen Tuns und Denkens." Zum Schluss die wunderbar naive Forderung: "Wir verlangen, dass Schönheit in ihre uralten Rechte wiedereingesetzt wird."

Fremdschämen wäre heute wohl die überwiegende Reaktion einer Öffentlichkeit, die bei ihren Politikern gediegene Mittelmäßigkeit am allerhöchsten schätzt.

Gegenwärtig träumt ein guter Teil der Gesellschaft von der absoluten Freiheit im Internet. Der größte Unterschied zur ästhetischen Vision von Mauthe und Nenning besteht dagegen darin, dass für gar nicht so wenige die Idee einer schrankenlosen virtuellen Freiheit einen veritablen Alptraum darstellt. Und dabei handelt es sich beileibe nicht nur um Regierungen mit verkappten autoritären Fantasien, sondern auch um so honorige Interessengruppen wie Autoren, Komponisten - kurz die Schöpfer kreativer Inhalte eben.

Auf diese Weise schrumpfen selbst große Visionen zu "special interest"-
Themen zusammen. Auch ein trauriges Schicksal.