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In Europa braut sich ein Sturm zusammen

Von David Ignatius

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Die Eurozone kommt aus der Krise nicht hinaus - sie steckt in einem Perpetuum mobile wirtschaftlicher Frustration fest.


Mit dem Sozialisten François Hollande als möglichem nächsten französischen Präsidenten trifft Europas erhitzter populistischer Zorn auf die eiskalten Sparmaßnahmen, die für die Eurozone nötig sind - mit voraussehbarem Ergebnis: einem Sturm, der an den wirtschaftlichen Grundfesten Europas rüttelt. Finanzhändler und Finanzminister beraten, wie viel Schaden dieser politisch-wirtschaftliche Zusammenstoß verursachen wird. Einige glauben, er könnte das gesamte Gefüge zum Einsturz bringen. Andere sind überzeugt, Deutschland werde das mit all seinem Bestehen auf den Sparmaßnahmen mit allen Mitteln verhindern und die nötigen Zugeständnisse für das Überleben der gemeinsamen Währung machen.

Europas Krise besteht weiter und durchbricht jeden Schutzwall und alle Rettungsmaßnahmen. Die Europäer haben sich unter der Führung Deutschlands für eine Mischung aus Sparmaßnahmen und Rettungsplänen entschieden, die zu einer immer weiter anwachsenden Verschuldung führt. Die Europäische Zentralbank pumpt Geld hinein, dieses versickert, weil die Sparmaßnahmen es der Wirtschaft nicht ermöglichen, zu wachsen und sich selbst zu heilen - ein Perpetuum mobile wirtschaftlicher Frustration.

Bisher erscheint die Krise als Kampf zwischen dem wohlhabenden Norden und dem verschuldeten Süden. Bald wird aber Frankreich - Arbeitsmoral im Norden und Hang zur Verschuldung im Süden - die entscheidende Rolle zukommen. Europas wirtschaftliche Zukunft hängt davon ab, wohin Frankreich sich bewegt - und ob es Deutschland auf seine Seite ziehen kann. Wenn Hollande Präsident wird, wie die Umfragen voraussagen, will er Druck auf Deutschland für eine Lockerung der neuen Finanzregeln ausüben. Denn Europa könne nicht nur Sparmaßnahmen verhängen, sagt er. "Natürlich werden wir uns von den strengen Budgetregeln nicht verabschieden, aber Sparmaßnahmen, die nur Last und Druck sind, sind für die Menschen unerträglich."

Jede Rettungsmaßnahme weite die Krise nur aus, argumentieren Euro-Skeptiker, weil sie eine ungesunde Struktur zu reparieren versuchten. Der glücklichste Ausgang , so diese Kritiker, wäre der gefürchtete Zerfall des Euro, der es Staaten ermöglichen würde, abzuwerten und wieder zu wachsen.

Ich bin davon nicht überzeugt. Die Folgen wären wohl ein Chaos der Märkte und Kapitalflucht. Theoretisch liegen die Vorteile auf der Hand, nicht aber unbedingt in der Praxis.

Die Märkte haben Möglichkeiten, Probleme zu lösen, die anders kaum zu lösen sind. Laut Analysten von Goldman Sachs werden die Reallöhne in Deutschland heuer um 1,5 bis 2 Prozent wachsen, weil deutsche Arbeitnehmer einen größeren Anteil am Gewinn verlangen. Gleichzeitig verringert sich aber mit der Verschlimmerung der Krise das Einkommen in vielen anderen europäischen Ländern. Das sollte de facto den Beginn einer Neubewertung des deutschen Euro und einer Abwertung der meisten anderen Euros bewirken - aber ohne die katastrophalen Nebenwirkungen.

Übersetzung: Redaktion

Originalfassung: Europe's gathering storm