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Die Beliebigkeit der Gesundheitspolitik

Von Ernest G. Pichlbauer

Kommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Warum interessiert der "Euro Health Consumer Index 2012" niemanden? Weil er keine guten Nachrichten bringt?


"Österreich absolviert einen Sturzflug auf der Rangliste des ,Euro Health Consumer Index (EHCI) 2012‘. (. . .) Österreich erhielt 737 Punkte und fällt damit von Rang vier (2009) (Anm: 2007 Rang eins) auf Rang elf. (. . .) Österreich stellt seine Ärzte noch immer höher als seine Patienten. Das System ist weder transparent noch benutzerfreundlich. Österreich zeigt überraschende Schwächen bei grundlegenden öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen wie Kinderimpfungen oder Mammographien. Die Diagnosen sind mittelmäßig. Die Inanspruchnahme von E-Health erfolgt nur langsam, und das kann die Patientensicherheit und -transparenz gefährden. (. . .) Der Leistungseinbruch im Gesundheitssystem ist alarmierend, und Brüssel sollte sich, in Anbetracht der Tatsache, dass sich die EU die Reduzierung der Lücken im Gesundheitssystem zum Ziel gesetzt hat, darüber Gedanken machen!"

Schmeichelhaft sind sie nicht, die Aussagen, die im "EHCI 2012" stehen. Und vielleicht gerade deswegen reagiert absolut niemand auf diesen jetzigen Bericht.

2007, als wir Erster wurden, war das ganz anders. Da überschlugen sich Politiker aller Ebenen und Institutionen im Lob unseres "weltbesten Gesundheitssystems". Vor allem die Ärztekammer fiel mit euphorischen Aussagen auf, wohl um jegliche Reformbestrebungen abzuwürgen - denn das Beste kann eben nicht wirklich verbessert werden.

Nun, damals war der "EHCI" schon kein Maßstab für die Systemqualität, und er ist es heute auch nicht. Es gab zwar methodisch massiv Verbesserungen, aber der Index bleibt unsicher. Das betonen auch die Autoren dieses Werkes immer wieder. Sie wollen gar nicht wissenschaftlich sein. Der Index will Anregung zur Verbesserung liefern, keine rigide Messschnur darstellen - eine Botschaft, die bei uns nie angekommen ist.

Schon wie 2007 (und in den Folgejahren) sind selbst bei oberflächlicher Analyse auch die Bewertungen des "EHCI 2012" oft nicht haltbar. So gibt es beispielsweise kein "Recht auf eine Zweitmeinung", obwohl es (wieder einmal) behauptet wird.

Ohne auf Details einzugehen, auch 2012 sind viele Angaben falsch, und wie bereits seit jeher besonders dort, wo sich die Autoren nicht auf Daten, sondern auf Befragungen von Akteuren der Szene verlassen müssen. Eine Neubewertung, die auf Fakten und nicht politischen Wunschvorstellungen beruht, ließe uns gar auf den 16. Platz (hinter Deutschland und Tschechien) zurückfallen, sofern die anderen nicht ebenso schöngefärbt und geflunkert haben wie wir. Soweit ich aber die Szene kenne, ist das Gesundbeten um jeden Preis eher ein Österreich-Spezifikum.

Aber darum geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass unsere Politik nur noch Jubelmeldungen haben will. Kritik wird ignoriert. Die Kritikkompetenz der Gesundheitspolitiker tendiert gegen null. Genau genommen ist sie wohl dort schon angekommen. Aber ohne Kritikkompetenz ist die Gestaltung der Zukunft nicht möglich. Und es scheint, als habe der Gestaltungswille dem reinen Machtwillen der Akteure das Feld endgültig überlassen.