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Der Selbstzweifel als Erfolgsrezept

Von Simon Rosner

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Deutschland hat die Vorrunde so souverän absolviert, dass viele fix mit dem EM-Titel rechnen. Das ist gefährlich.


Der Kollege aus Deutschland hat einen irrsinnig witzigen Schmäh parat, als er der österreichischen Delegation im Medienzentrum in Warschau über den Weg läuft. "Und wann steigt ihr ins Turnier ein?" Kaum hat man den Lachanfall einigermaßen überstanden, wird aber auch Lob verteilt. "Ihr habt ja jetzt aber eine recht gute Mannschaft beisammen und gegen den zukünftigen Europameister gut ausgesehen." Wen meint er? Die Ukraine? Rumänien? Offenbar ist ihm gerade das 2:1 der Deutschen gegen Österreich in Wien vor einem Jahr eingefallen. Das war damals ja auch wirklich eine enge Partie. "Glaubt ihr wirklich so fest daran, dass Deutschland den Titel holt?", frage ich. "Wer denn sonst?"

Es ist natürlich eine berechtigte Frage. Dass Deutschland diesmal wirklich sehr gute Karten hat, ist durch die Darbietungen in der Gruppenphase gut dokumentiert worden. Und so wie dem lustigen deutschen Journalisten fallen auch seinen Kollegen derzeit wenige Argumente ein, warum es diesmal nicht reichen sollte. So zählte die "Süddeutsche" kürzlich auf, wie viel Potenzial noch ungenutzt ist. Lukas Podolski und Mesut Özil haben noch nicht geglänzt, Miroslav Klose hat noch nicht getroffen, tut dies aber bei jedem Turnier, dann gibt’s noch Mario Götze und Marco Reus auf der Bank, und Edelfan Angela Merkel hat sich ja auch erst für später angesagt. Was soll da wirklich noch schiefgehen?

Es scheint derzeit, als würde den Deutschen jeglicher Selbstzweifel fehlen. Und das ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Die Deutschen haben genauso wie die Spanier bei der WM 2010 in der Vorrunde eine Partie verloren und also Bekanntschaft mit der Besiegbarkeit gemacht. Auch bei der Euro 2008 hat Deutschland ein Gruppenspiel verloren, leider nicht jenes gegen Österreich. Zwei Wochen später standen sie im Endspiel. Auch Frankreich kassierte beim EM-Titel 2000 in der Vorrunde eine Niederlage, und Ex-Weltmeister Italien kam bei der WM 2006 gegen die USA nicht über ein 1:1 hinaus.

Bei der WM in Deutschland war dagegen Spanien das Team der Vorrunde, ebenso Holland zwei Jahre später bei der EM. Das Aus kam für beide gleich in der ersten K.-o.-Runde. Ein zu großes Selbstvertrauen kann auch Fehler evozieren, weil die Konzentration bisweilen verloren geht. Wenn’s läuft, dann läuft’s, sagt man zwar. Aber manchmal läuft es auch zu glatt. Wie bei den Russen, die so felsenfest davon überzeugt waren, dass sie Griechenland schlagen, dass sie das 0:1 völlig aus der Bahn geworfen hat.

Spanien hat bei dieser WM schon seinen kleinen Horror gehabt, schließlich führte Italien mit 1:0. Die Tschechen haben sogar 1:4 verloren, die Griechen waren schon fast weg, und Frankreich hat auch schon Federn lassen müssen, genauso Portugal. Nur bei den Deutschen läuft’s. Vielleicht zu gut.

Siehe auch:Deutschland musste nur kurz zittern