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Träumen von der Stunde null

Von Walter Hämmerle

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Österreich ist eine erstaunliche Geschichte der Kontinuitäten. Warum sollten wir uns das durch ein Kärntner Urteil kaputtmachen lassen?


Ein Urteil ist gesprochen - und es ist, zumindest in erster Instanz, bemerkenswert energisch ausgefallen. Da wollte der Herr Richter ganz offensichtlich eine Botschaft verkünden und mutmaßlich gleich in zwei Richtungen: nach außen an die Politik, dass es vorbei ist mit den guten alten Zeiten, als diese glaubte - Was heißt glaubte? Überzeugt war sie! -, sich auf Kosten der Steuerzahler alles erlauben zu können; und nach innen an die Kollegen von der Justiz, dass man auch Politiker und ihre Klüngel nach dem Buchstaben des Gesetzes zur Verantwortung ziehen kann.

Kärnten macht also einmal den Anfang, und dies ist, zumindest im gegebenen Zusammenhang, endlich einmal wieder eine gute Nachricht aus dem Süden der Republik. Nicht auszudenken, wenn - sagen wir in zehn, fünfzehn Jahren - ausgerechnet dieses Bundesland über die sauberste Politik, die anständigsten Parteien verfügen würde. Man kennt das ja aus anderen Bereichen, von wegen kreativer Kraft der Zerstörung und so: Wo man auf nichts mehr aufbauen kann, empfiehlt sich ja mitunter ein radikaler Neubeginn. Träumen wird man ja schließlich noch dürfen, zumal die Landtagswahlen noch nicht geschlagen sind. Und solche bergen bekanntlich das Potenzial für jegliche Überraschung, die Weisheit der Wähler ist bekanntlich unergründlich.

Das Problem ist, dass es in Österreich keine Stunde null, keinen radikalen Neubeginn gibt und nie gegeben hat. Zumindest nicht in der Geschichte Österreichs der letzten 150 Jahre, und wahrscheinlich auch nicht in den Jahrhunderten davor.

So groß konnte der Bruch, die historische Zäsur gar nicht sein, dass nicht auf das vorhandene Fundament wieder - allenfalls moderat modifiziert - aufgebaut wurde.

Österreichs tragende Parteien? Hatten im Wesentlichen bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Gestalt, die ziemlich nahe an das herankommt, was SPÖ, ÖVP und FPÖ heute darstellen.

Der Föderalismus? Am Anfang allen Österreichs standen schon immer die Bundesländer, das muss irgendwann ein höheres Wesen so entschieden haben.

Die Sozialpartnerschaft samt Kammerwesen? Das Misstrauen gegenüber einem liberalen Parlamentarismus war offensichtlich keine Erfindung des autoritären Ständestaates, das wurzelt sehr viel tiefer.

Immerhin: Die tragische Kombination von Gewalt und Politik konnte nach 1945 durchbrochen werden. Keine geringe, wenngleich naheliegende Leistung der Parteien.

Angesichts dieses -ideologisch neutral betrachtet - überwältigenden Triumphs der Restauration über die Revolution in den letzten 150 Jahren sind deshalb einige gesunde Zweifel angebracht, dass das Kärntner Urteil eine wirkliche Zäsur einläutet. Der Mensch - als Bürger wie als Politiker - tendiert zur Vergesslichkeit, wenn die Lage wieder günstig scheint und sich neue Gelegenheiten ergeben. Sei es um zu betrügen oder sich betrügen zu lassen, wenn sich denn eine Handvoll Vorteile daraus ergeben.

Und dann gibt es ja auch noch die übrigen acht Bundesländer - den Bund nicht zu vergessen.