Zum Hauptinhalt springen

2013 - das Jahr, in dem wir Japaner werden?

Von Christian Ortner

Kommentare
Christian Ortner.

Warum immer wahrscheinlicher wird, dass Jahre ohne Wachstum vor uns liegen - und das keine große Katastrophe sein muss.


Wenn stimmt, was die Ökonomen derzeit so prophezeien, dann wird die Wirtschaft der Eurozone 2013 eher (ein bisschen) schrumpfen als wachsen. Diese Prognose ist zwar nicht sonderlich erbaulich, aber angesichts des in Euroland insgesamt vorhandenen Wohlstandes auch noch kein Grund, in schwere Depression zu verfallen. Wir haben es hier wohl eher mit einem Fall von Leiden auf hohem Niveau zu tun, auch wenn der einzelne Betroffene es anders empfinden mag. Wesentlich bedeutsamer ist, dass sich die Indizien dafür mehren, vor Europa könnte eine viel längere Phase der ökonomischen Stagnation liegen, möglicherweise gar ein Jahrzehnt oder mehr. Japan erlebt eine derartige mehr oder weniger wachstumsfreie Phase nun schon seit mehr als zehn Jahren - die Japaner nennen es gelegentlich auch ein "verlorenes Jahrzehnt". Dass nun auch Europa ein "japanisches Jahrzehnt" droht, liegt vor allem am noch lange nicht abgeschlossenen - oder noch nicht einmal wirklich ernsthaft begonnen - Abbau der exzessiven Staatsschulden in der Eurozone; in manchen Ländern auch mit der ebenso notwendigen Verringerung der privaten Verschuldung verbunden. Das bedeutet notwendigerweise tendenziell höhere Steuern, niedrigere Staatsausgaben und damit verbunden niedrigeren privaten Konsum als Kollateralschaden eines unumgänglichen ökonomischen Gesundungsprozesses. Man muss nicht wirklich übertrieben pessimistisch sein, um angesichts einer derartigen Ausgangslage nennenswertes Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren für Mangelware zu halten. Dazu kommt ein bisher in der ökonomischen Debatte eher unterschätztes Phänomen: je wohlhabender eine Gesellschaft ist, umso weniger Druck lastet auf den Konsumenten, immer mehr zu konsumieren. Die Motivation, sich statt eines Fahrrades ein Moped zu leisten, ist noch sehr hoch; jene, sich statt des Mopeds ein Auto zu leisten, wird auch noch erheblich sein. Aber ob ein Durchschnittsösterreicher seinen VW Golf alle fünf Jahre gegen einen neuen eintauscht oder erst alle sechs Jahre, ist für sein Wohlbefinden vergleichsweise deutlich weniger bedeutsam - für das Wirtschaftswachstum hingegen durchaus. Die Vermutung, besonders wohlhabende Gesellschaften täten sich besonders schwer, bei knappen Kassen Wachstum zu generieren, liegt daher einigermaßen nahe. Ganz besonders dann, wenn auch keine grundlegend neuen Technologien - wie früher das Auto, das Fernsehen oder der Computer - die Konsumenten in einen "Will-Haben"-Modus versetzen, der per kollektivem Kaufzwang zu Wachstum führt. Doch auch ein derartiger Technologiesprung ist derzeit nicht wirklich in Sicht. Das Beispiel Japans zeigt, dass eine derartige "Post-Wachstumsgesellschaft" zwar nicht eben wünschenswert ist, aber offenbar auch über längere Zeiträume ohne sonderliche soziale Anspannungen, Verarmung breiterer Schichten der Bevölkerung und politische Verwerfungen einigermaßen funktioniert - vorausgesetzt, diese Stagnation findet auf einem ausreichend hohen Niveau statt. Man braucht das nicht unbedingt - aber man überlebt das offenbar ganz gut.

ortner@wienerzeitung.at