Sie hätten nun einmal eine "deutlich andere Lebensweise", und zur Integration seien viele schlicht nicht bereit. Außerdem könne ein Land nicht "das ganze Elend dieser Welt" aufnehmen. Mit solchen Worten rechtfertigt ein europäischer Innenminister, ein in großen Teilen der Bevölkerung beliebter Politiker, die Abschiebungen tausender Menschen. Es geht aber nicht um illegal in die EU eingereiste Afrikaner oder eine Integrationsdebatte zwischen Christen und Muslimen. Diejenigen, die der französische Staat loswerden möchte, sind Bürger der Europäischen Union: Roma, die aus Rumänien und Bulgarien stammen.

In diese Länder sollten sie auch zurückkehren, meinte Innenminister Manuel Valls vor wenigen Tagen. Denn inmitten französischer Städte sollte es keine Elendssiedlungen geben. So bezeichnet der Sozialist die improvisierten Wohnlager, die Gruppen von Roma und Sinti in Frankreich aufschlagen. Etliche von ihnen sind in den vergangenen Wochen aufgelöst worden, die Menschen wurden vertrieben. Seit Jahren schon löst die Einreise der Rumänen und Bulgaren Debatten in Frankreich aus; dass regelmäßig Hunderte des Landes verwiesen werden, sorgt für Applaus wie Empörung.

Dass andere Unionsmitglieder diese Diskussion ebenfalls führen wollen, kann Valls daher gefallen - auch wenn er einen Brief seiner Amtskollegen nicht unterschrieben hat. Vier Staaten hatten im Frühling die EU-Kommission aufgefordert, Möglichkeiten zu prüfen, Sanktionen bei Missbrauch der Personenfreizügigkeit oder von Sozialleistungen zu verhängen. Die Maßnahmen könnten Ausweisungen oder Einreiseverbote sein. Welche EU-Bürger das betreffen sollte, erklärten die Innenminister Deutschlands, Großbritanniens, der Niederlande und Österreichs zwar nicht. Doch schwelt in drei dieser Länder ein Streit über Rumänen und Bulgaren, die Anspruch auf Sozialhilfe erheben. Auch hier ist klar: Es handelt sich zu einem großen Teil um Roma und Sinti. Österreich sei von der Thematik kaum betroffen, wird in Wien eingeräumt. Aber aus Solidarität mit den anderen drei Hauptstädten habe es sich angeschlossen.

Der Zwist könnte erneut aufflammen, wenn die Justiz- und Innenminister der EU nächste Woche zu einem Treffen in Luxemburg zusammenkommen. Mit der Stellungnahme der vier Länder konnten sich laut Diplomaten mittlerweile weitere Mitglieder anfreunden, darunter Dänemark und Belgien.

Weniger Freude hatte damit die EU-Kommission. Sie verwies auf die Reisefreiheit, ein Grundrecht in der Gemeinschaft, das für alle Unionsbürger gelten muss. Die Behörde soll nun einen Zwischenbericht über die Lage in den vier Ländern präsentieren. Bloß: Dafür bräuchte sie Angaben aus den Staaten, worum sie auch vor Monaten gebeten hat. Doch aus den Hauptstädten hört sie Argumente, warum dies nicht einfach ist: weil das Ausmaß schwer zu beziffern, weil nicht jeder Fall von Missbrauch der Sozialleistungen nachzuweisen sei.

Eine Zahl nannte stattdessen die für Grundrechte zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding. Im Budget der Union stünden 50 Millionen Euro zur Verfügung, die in die soziale Integration der Roma fließen könnten. Warum, fragte Reding, nutzen die Länder dieses Geld nicht?