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Wenn der Zirkus Station macht, hat der olympische Geist Pause

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Schattenseiten werden in der Olympia-Glitzerwelt nicht toleriert. | Doch das ist beileibe kein Russland-spezifisches Phänomen.


Proteste? Kritische Worte der Polit-Prominenz, die ihre Sotschi-Reise damit gerechtfertigt hatte, für Menschenrechte eintreten zu wollen? Fehlanzeige. Es hätte auch verwundert. Da mag vorher noch so viel verbal auf die Veranstalter eingedroschen werden, sobald die Worte "Die Spiele sind eröffnet" fallen, sobald der Mikrokosmos Olympia alle in seinen Bann zieht, wird das Drumherum ausgeblendet; das war in China so, das war in Vancouver so, und das ist in Russland nicht anders. Statt über die Repressionen von Minderheiten zu reden - und das betrifft beileibe nicht nur die Homosexuellen -, wird über banale Dinge geraunzt. Elisabeth Görgl echauffierte sich über die spätabendliche Doping-Kontrolle, die deutsche Rodel-Silbermedaillengewinnerin Tatjana Hüfner über den Materialnachteil, und nun stimmte auch Österreichs Slopestyle-Freestyler Luca Tribondeau mit dem Schimpfen über die Bewertung ins Klagelied der Geschlagenen mit ein. Nun war zwar weder der nächtliche Toilettengang schuld daran, dass Görgl die Abfahrt als 16. verpatzte, noch der Schlitten, dass Natalie Geisenberger gleich in vier Läufen überlegen war; und die Medaillen waren für Tribondeau trotz eines möglichen Finaleinzugs eh außer Reichweite. Doch wenn’s um Olympia geht, ist sich halt jeder selbst der Nächste. Aus Sicht der Sportler ist das nicht nur verständlich, sondern auch Voraussetzung, um erfolgreich zu sein. Und sie können ja auch kaum anders: Nicht nur einmal hat IOC-Chef Thomas Bach erklärt, kritische Worte der Athleten seien erwünscht - nur bitte nicht direkt an den Wettkampfstätten. Scheinheiliger geht’s kaum. Doch auch das sollte nicht verwundern bei einer Organisation, die, um nur ein Beispiel zu nennen, gesunde Lebensführung propagiert und mit (Millionenlieferant) McDonald’s wirbt. Bemerkenswert waren in dem Zusammenhang auch die Worte der Skisprung-Silbernen Daniela Iraschko-Stolz, der es trotz Bekenntnis zu ihrer Lebenspartnerin sichtlich unangenehm war, mehr deswegen als wegen ihrer Leistungen zum Objekt medialer Begierde geworden zu sein. Nona ist sie gegen Diskriminierung, aber man müsse den Veranstaltern auch eine Chance geben, sagte sie schon vor den Spielen mit jener gelebten Toleranz, die in vielen Bereichen der russischen Gesetzgebung, aber eben auch vielen Sotschi-Gegnern fremd ist. Und das IOC mache es den Sportlern durch seine Regeln auch nicht gerade einfach. Für die Zukunft wünsche sie sich, dass dieses schon vor der Vergabe auf Menschenrechte achte. Wer mitbekommen hat, wie das IOC Norwegens Langläuferinnen wegen eines Trauerflors (!) ermahnte, wird sich da keinen Illusionen hingeben. Schattenseiten sind eben nicht vorgesehen. Weder in Russland noch anderswo, wo der Fünf-Ringe-Zirkus den olympischen Geist verdrängt.

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