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Viel Lärm um nichts?

Von Dominik Stella, Jens Winter und Christoph Wolf

Recht

Es ist fraglich, ob die Lockerung des Kündigungsschutzes für Ältere deren Chancen am Arbeitsmarkt verbessern wird.


Entsprechend dem Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2017/2018 soll zum Zweck der Förderung der Einstellung älterer Arbeitnehmer der erhöhte Kündigungsschutz von über 50-Jährigen modifiziert werden. Derzeit bereits Beschäftigte sollen von der Neuregelung nicht erfasst sein. Ausgehend von der bisherigen Entscheidungspraxis der Gerichte in Kündigungsanfechtungsverfahren ist höchst fragwürdig, ob die Neuregelung die Arbeitsplatzchancen Älterer tatsächlich verbessern wird.

Generell kann jedes unbefristete Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen unter Einhaltung von Fristen und Terminen gekündigt werden. Das Arbeitsrecht sieht aus unterschiedlichen Beweggründen Durchbrechungen des freien Kündigungsrechts vor. Die in der Praxis wichtigste Beschränkung enthält der allgemeine Kündigungsschutz des § 105 Arbeitsverfassungsgesetz. Dieser Kündigungsschutz gilt für Arbeitnehmer in betriebsratspflichten Betrieben - also in Betrieben, in denen regelmäßig zumindest fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind. Demnach hat das Gericht eine Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären, wenn sie aus einem verpönten Motiv (zum Beispiel wegen Betätigung in einer Gewerkschaft) ausgesprochen wurde oder sozialwidrig ist. Der deutlich überwiegende Teil aller Kündigungsanfechtungen erfolgt wegen Sozialwidrigkeit. Eine solche liegt vor, wenn der Arbeitgeber die sozialen Interessen des Gekündigten zu wenig berücksichtigt hat. Nach der Rechtsprechung sind die sozialen Interessen insbesondere bei zu erwartender längerer Arbeitslosigkeit und/oder erheblichen Entgelteinbußen beeinträchtigt. Kann der Arbeitnehmer die Interessenbeeinträchtigung im Verfahren durch berufskundige Sachverständige nachweisen, muss der Arbeitgeber die Kündigung begründen. Der Grundsatz der freien Kündbarkeit gilt dann nicht. Dafür kann der Arbeitgeber entweder vorbringen, dass die Kündigung aus in der Person gelegenen Gründen erforderlich war (zum Beispiel mangelhafte Arbeitsleistungen oder häufige Krankenstände) oder der Arbeitsplatz ersatzlos weggefallen ist.

Alter spielt nur eine Rolle, wenn "erheblich nachteilig"

Für ältere Arbeitnehmer sieht die geltende Rechtslage derzeit ergänzend vor, dass in der Person gelegene Kündigungsgründe, die ihre Ursache in einem höheren Alter eines langjährig Beschäftigten haben, nur dann beachtet werden dürfen, wenn die Weiterbeschäftigung betriebliche Interessen "erheblich nachteilig" berührt. Zudem müssen bei der Prüfung, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, und beim Vergleich sozialer Gesichtspunkte, eine vieljährige Beschäftigung sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt besonders berücksichtigt werden. Dies gilt derzeit für Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben, (erst) ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres.

Die jüngst beschlossene Neuregelung sieht nun vor, dass der erhöhte Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer nicht zur Anwendung gelangen soll, wenn diese im Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben. Begründet wird dies damit, dass der erhöhte Schutz für ältere Arbeitnehmer nicht nur positive, sondern auch negative Auswirkungen hätte. Während er für Arbeitnehmer in einem aufrechten Arbeitsverhältnis zu einer Festigung der Arbeitsmarktposition führe, würde er für jene älteren Arbeitnehmer ein Hindernis darstellen, die auf der Suche nach einer Beschäftigung sind. Dem soll die Neuregelung entgegenwirken.

Ob dieses Ziel erreicht wird, ist aber zweifelhaft. Die bestehenden Sonderregelungen wurden von der Politik in ihren Auswirkungen offenkundig weit überschätzt. Zentrales Element jedes Anfechtungsverfahrens ist nämlich die Beurteilung, ob die sozialen Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden. Je stärker die Interessen durch die Kündigung beeinträchtigt werden, desto schwerer müssen die Rechtfertigungsgründe des Arbeitgebers wiegen. Nun ist es kein Geheimnis, dass mit zunehmenden Alter die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sinken und tendenziell mit längerer Arbeitslosigkeit und höheren Einkommenseinbußen zu rechnen ist.

Gänzliche Neukonzeption des Kündigungsschutzes nötig

Dem folgend benötigt der Arbeitgeber auch dann handfeste Kündigungsgründe, wenn man die Sonderreglungen für über 50-Jährige wegdenkt. Der allgemeine Kündigungsschutz führt also insbesondere im Zusammenhang mit der bisherigen Spruchpraxis der Gerichte dazu, dass ältere Arbeitnehmer wesentlich besser geschützt sind als junge. Umgekehrt ist es so, dass trotz der Verpflichtung ältere Arbeitnehmer zu schützen, eine Kündigung von den Gerichten regelmäßig als gerechtfertigt angesehen wurde, wenn handfeste Kündigungsgründe vorliegen.

In Anbetracht des Konzepts des allgemeinen Bestandschutzes und der von den Gerichten entwickelten Anforderungen an die Rechtfertigung, ist davon auszugehen, dass weder eine Modifikation noch ein gänzlicher Entfall der Sonderregelungen für ältere Arbeitnehmer die Arbeitsplatzchancen dieser Gruppe signifikant erhöhen. Nur eine gänzliche Neukonzeption des allgemeinen Kündigungsschutzes kann die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer tatsächlich nachhaltig verbessern.

Gastkommentar

Dominik

Stella

ist bei CMS Reich-Rohrwig Hainz als Associate im Bereich Arbeits- und Sozialrecht tätig. Davor arbeitete er als Universitätsassistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien.

Jens

Winter

ist Partner bei CMS Reich-Rohrwig Hainz. Er berät nationale und internationale Unternehmen überwiegend in Fragen des Arbeitsrechts sowie des Betriebspensionsrechts. Fotos:CMS

Christoph Wolf

ist Partner bei CMS und berät Unternehmen bei Arbeitsrechtsangelegenheiten, einschließlich Restrukturierungsmaßnahmen, Verhandlung von Betriebsvereinbarungen und Sozialplänen.