Zum Hauptinhalt springen

Oh du biederes Wien

Von Ina Weber

Kommentare

Die Kinder können mit dem Life-Ball-Plakat gut umgehen - viele Erwachsene offensichtlich nicht.


Wer sich als Mutter oder Vater über das Life-Ball-Plakat von David LaChapelle aufregt und die eigene Aufregung auf seine Kinder schiebt, unter dem Motto "Mein armes Kind ist solch einem Anblick ausgesetzt", dann haben diese Erwachsenen offensichtlich noch nie die Welt mit Kinder-Augen wahrgenommen. Sie haben noch nie ihre Zeichnungen studiert oder an ihren Spielen teilgenommen. Ein Kind malt einen Elefanten rot, den Himmel grün, die Hände bestehen aus vier Strichen, die Mama ist ein runder Kreis, die Oma trifft im Himmel den Opa, die Zahnfee lebt im Elfenland und das Christkind - ja das Christkind ist weder Mann noch Frau - oder hat jemand einen Beweis?

Wenn eine Sechsjährige beim Song Contest die Frau mit Bart verehrt, dann tut sie es mit einem Selbstverständnis, weil sie schön singt, weil sie gewonnen hat, weil sie nett ist: Dann hat sie eben einen Bart, na und? Der Bart wurde aber auch gar nicht hinterfragt. Wenn diese Frau dann auch noch einen Penis hat, so wie der beste Freund im Kindergarten, dann ist das bestenfalls interessant, aber niemals unmöglich und schon gar nicht verboten.

Das Life-Ball-Plakat, das eine nackte Frau mit Penis zeigt, wird derzeit in der Öffentlichkeit kritisiert. Facebook hat das Plakat zensuriert. Der US-Blogger Perez Hilton konnte es dennoch platzieren, weil er drei weiße Punkte an den heiklen Stellen angebracht hat. "Leider ist dieses Netzwerk zu spießig für das Life-Ball-Plakat, deswegen hat man mir das letzte Posting gelöscht", schreibt Schauspieler Manuel Rubey, der die Eröffnung des Life Balls moderieren wird. Eine "Wutmutter" ("Heute"-Kollegin) würde am liebsten die Plakate übersprühen. Sie fragt sich, wo der Respekt gegenüber den Kindern bleibe. Man könne nicht "mit einem Holzhammer auf die Leute hauen". Und sie könne ihren Kindern nicht erklären, warum eine Frau einen Penis habe.

Zu allererst müsste man ihr an dieser Stelle entgegenhalten, dass man eine Sprache wählen sollte, die ohne den Worten Holzhammer, hauen und übersprühen auskommt. Denn bekanntlich übernehmen Kinder langfristig die Einstellungen ihrer Eltern. Wer sich mit Toleranz schwer tut, dem könnte man weiters den Rat geben: Führen Sie sich selbst und ihr Kind ein, in die Welt der Kunst, der Phantasie, der Freiheit und der gegenseitigen Wertschätzung. Sie werden sehen, für ihr Kind ist der Anblick von einem nackten Körper, in welcher Konstellation die Geschlechtsorgane auch immer gereiht sein mögen, ein durchaus natürlicher Zustand. Falls Sie dann noch immer sprachlos sein sollten, dann könnten Sie ihrem Kind erklären, wie es zu diesem Sujet gekommen ist: Der homosexuelle amerikanische Fotograf David LaChapelle hatte angeboten, für die Aids-Charity-Veranstaltung Life Ball das Sujet zu entwerfen. Dazu ließ er sich die Carte blanche geben, das heißt, er hatte volle künstlerische Freiheit. Als Vorlage verwendete er das Gemälde "Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch aus dem Jahr 1500. LaChapelles Werke haben einen Wert von bis zu 70.000 Euro. Das Unikat wird im Rahmen des Life Balls versteigert. Der Erlös kommt Aids-Kranken zugute, darunter tausende Kinder, die ohne Hilfe ihr zweites Lebensjahr oft nicht erreichen würden. Wenn das kein guter Grund für eine Erklärung ist.