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Die Loyalität und das Gewissen

Von Edwin Baumgartner

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Erst verliert er seinen Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst, dann einen der weiteren wichtigen Dirigenten von heute: Bertrand de Billy legt laut "Kurier" endgültig alle Verpflichtungen an der Wiener Staatsoper für die Dauer der Direktion Dominique Meyer zurück.

Zwischen de Billy und Meyer hatte es gekracht, weil de Billy im "Lohengrin" eine bestimmte Kürzung verweigerte. Es ließ sich kein Kompromiss finden. De Billys künstlerisches Gewissen gebot, die Premiere abzusagen. Meyers Strafe folgte auf dem Fuß: Für de Billy gäbe es nur noch Repertoire. Eine Demütigung für ihn, um den sich die Häuser weltweit als Premierendirigenten reißen. Nicht so die Staatsoper unter Meyer. Meyer nämlich brauche "Partner, die hundertprozentig loyal sind". "Loyal" also gegenüber einem Direktor, auch wenn das den Verrat am eigenen künstlerischen Gewissen bedeutet? "Es hat für mich unter diesen Umständen an diesem Haus keinen Sinn mehr", ist de Billys Fazit im "Kurier"-Gespräch. Wir erinnern uns, dass auch Welser-Möst aus künstlerischen Gründen demissionierte.

Andererseits: Ein Operndirektor hat, wie jeder Chef, das Recht, von seinen Mitarbeitern Loyalität zu verlangen. Meyer allein deshalb zu tadeln, wäre unfair. Doch stellt eine künstlerische Gewissensentscheidung tatsächlich einen derartigen Mangel an Loyalität dar, dass man gar nicht anders kann, als einem Künstler auf ihn demütigende Weise das Vertrauen zu entziehen? Oder spielt da nicht doch auch die persönliche Gekränktheit des Staatsoperndirektors eine unrühmliche Rolle?