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Genies wollen und Rangen bekommen

Von Eva Stanzl

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"Und jetzt ... muss ich Euch etwas zeigen", sagte der Vater eines reizenden, aber jähzornigen Freundes, und holte mit bedeutungsschwangerem Blick eine ledergebundene Mappe aus dem Regal. Seine rituelle Geste bedeutete uns, das gute Stück zu bewundern, bevor er es auf den Tisch legte, öffnete und sagte: "Und..?" Wir sahen nichts. Bis auf die Kritzeleien, die unser Freund mit vier Jahren gemacht hatte, die wenig auffällig waren. Was unseren Freund und seinen Vater nicht hinderte, sie ohne Zeichen von Peinlichkeitsempfinden hingebungsvoll zu betrachten. Wir wurden rot, zumal unser Freund im Kaffeehaus hackelte und nie künstlerische Ambitionen an den Tag gelegt hatte.

Nur ein paar Prozent der Menschen haben einen IQ ab 140 und nur ein paar Prozent davon sind hochbegabt. Jedoch scheint heute ein weitaus höherer Anteil der Eltern zu meinen, sie hätten kleine Mozarts hervorgebracht. "Sie ist sehr sensibel, erträgt viele Menschen schlecht und reagiert auf jedes Unbehagen", heißt es dann, wenn die quietschende Tochter jedes Gespräch im Keim erstickt. Oder: "Er fordert mich bis an meine Grenzen, sehr spannend", wenn der Sohn einen Tobsuchtsanfall bekommt, weil er keine Pornos auf dem Smartphone schauen darf. Wer glaubt, es ist erfunden, irrt. Jedoch sind nicht die Kinder schuld, denn sie kommen nicht als fertige Menschen zur Welt und erblühen mit Liebe und Sicherheit, zu der Regeln gehören. Überhöhung durch die Eltern verursache jedoch Narzissmus bei Kindern, berichten US-Forscher. Die Kinder seien nämlich frustriert, wenn was die Eltern sagen, nicht eintritt, und werden dann zu Rangen.