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Der ganz normale Alltagsantisemitismus

Von Edwin Baumgartner

Kommentare

Alberich - das ist der Zwerg, der in Richard Wagners "Ring des Nibelungen" für Geld und Macht auf die Liebe verzichtet. Es ist die übelste antisemitische Karikatur, die der NS-Wegbereiter Richard Wagner gezeichnet hat.

Kirill Petrenko, der designierte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, ist Jude. Einige Tage, nachdem die Entscheidung bekannt wurde, veröffentlichte der NDR einen Online-Kommentar einer Redakteurin, die offenbar lieber Christian Thielemann als Chef des deutschen Spitzenorchesters gesehen hätte. Da beide Dirigenten bei den Bayreuther Wagnerfestspielen dirigieren, konstruierte der Kommentar "Petrenko vs. Thielemann" ein Rivalitätsverhältnis und nahm auf das antisemitische Werk des antisemitischen Großkomponisten Bezug: Thielemann ist Wotan, der deutsche Gott, und Petrenko ist Alberich, der jüdische Raffzahn.

Der NDR ist ein öffentlich-rechtlicher Sender. Im Selbstverständnis dienen diese (so auch der ORF) der Aufklärung, sie versuchen, über einen vernunftdiktierten Zugang die bauchgefühlige Erregung zu dämpfen, die Polarisierung zu vermeiden. Dier Thielemann-kontra-Petrenko-Kommentar war in jeder Hinsicht das Gegenteil davon.

Dementsprechend große Aufregung - Shitstorm.

Es folgt die Rechtfertigung der Redakteurin, sie habe doch gar nicht beabsichtigt, Petrenko und Alberich gleichzusetzen. Man windet sich. Man korrigiert herum. Es dauert Stunden um Stunden, bis die braune Soße endlich ganz abserviert wird.

Ist die Redakteurin eine Antisemitin? - Nein, natürlich nicht. Sie könnte fraglos, ohne, dass ihr Pinocchios Nase wächst, diesen Vorwurf kategorisch von sich weisen. Es ist ihr einfach passiert. Quasi eine Unachtsamkeit in der Wortfindung. Und es ist dem Sender passiert, dass dieser Text online ging. Ein Fall von oops, sozusagen. Das ist das eigentlich Erschreckende an der Sache.