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Friedensstern in Afghanistan

Von Alexander U. Mathé

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Allen Hindernissen und Kriegen zum Trotz hält Ibrahim Amiri die Fahne der Astronomie hoch.


Als sein Nachbar eines Nachts auf die Straße lief, sich auf den Boden warf und zu beten begann, versuchte Ibrahim Amiri, ihn zu beruhigen. Eine Mondfinsternis sei etwas ganz Normales, erklärte er, man könne ihr Eintreten sogar berechnen und vorhersagen. Unter keinen Umständen müsse man sich vor ihr fürchten. Doch davon wollte der Nachbar nichts wissen. "Wir müssen beten, sonst wird Gott böse", sagte er, während sich Amiri mit seinem Wissen und seiner Rationalität wohl sehr einsam vorgekommen sein muss in einer Welt des (Aber)glaubens. Astronomie ist Amiris Leben.

Allerdings ist der 26-Jährige nicht gerade auf dem fruchtbarsten Boden für diese Passion gelandet. Denn in Afghanistan könnten die Umstände für die als älteste geltende Wissenschaft kaum widriger sein. Auf der Suche nach einem geeigneten und nicht lichtverschmutzten Beobachtungsort läuft man Gefahr, auf eine Mine zu treten, Taliban in die Arme zu laufen oder von korrupten Beamten drangsaliert zu werden. Reaktionen auf das Wissen reichen von Unverständnis bis Anfeindungen. Und doch blüht an diesem unwirtlichen Ort allen Unbilden zum Trotz zart die Astronomie. Schon im Alter von sieben Jahren, als er den Hale-Bopp-Kometen am Himmel über seiner Geburtsstadt Peschawar in Pakistan erblickte, entdeckte Amiri die Faszination des Himmels. Während sich 39 Anhänger der Heaven’s-Gate-Religion in den USA ob dieses Ereignisses das Leben nahmen, war Amiri begeistert. "Es war mit nichts vergleichbar, das ich jemals gesehen hatte", sagte er der "Los Angeles Times". Dieses Interesse war auch ungebrochen, als seine Familie 2003 wieder nach Afghanistan zurückkehrte. Astronomische Utensilien oder Lehrer gab es für Amiri nicht, dafür aber Bücher, mit denen er an seinem Traum arbeitete. In einem war beschrieben, wie ein Teleskop gebaut wird. Und so bastelte er sich eines aus einem alten Ofenrohr und ein paar Linsen. Das bescherte ihm das nächste überwältigende Erlebnis: Den Mond mit seinen Kratern im Detail zu sehen. Als Amiri 2009 zu studieren begann, existierte das Studienfach Astronomie nicht an der Universität von Kabul.

Also studierte er das, was seiner Meinung nach dem Ganzen am nächsten kam: Physik. Weil er auch von etwas leben muss, ist Amiri heute Übersetzer und Sprachlehrer. Doch daneben gilt seine ganze Passion der Astronomie. Er ist inzwischen das jüngste Mitglied der Afghanistan Astronomy Association und konnte bei einer Reise in die USA Wissen sammeln, wie es ihm bis dahin noch nicht zugänglich war. Dieses gibt er nun selber an eine neue Generation von Jugendlichen weiter, die nicht in finsterer Unkenntnis aufwachsen sollen. Irgendwie hat die Astronomie für Amiri auf diese Weise auch etwas Friedvolles, wie er sagt: "Wenn du siehst, dass die Erde nur ein kleiner Fleck im Universum ist, werden alle Differenzen, Grenzen, Sprachen und alles andere unbedeutend."