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Das Ende der 10

Von Simon Rosner

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Von der berühmtesten aller Rückennummern muss man sich verabschieden - zumindest von ihren mythischen Zuschreibungen.


Dieser Pass von Tomáš Rosický zum ersten Tor der Tschechen bei dieser EM war gleichsam sein poetischer Abschiedsgruß. Halb gelupft, mit dem Außenrist, bediente er seinen Mitspieler Milan Škoda, der eigentlich nicht freistand, aber dennoch zum 1:2 einköpfeln konnte. Nur ein paar Augenblicke später verletzte sich Rosický am Oberschenkel, wieder einmal, es war gleichbedeutend mit dem Ende seiner Karriere.

Auf seinem Rücken trug Rosický die 10, und er füllte diese Nummer auch so aus, wie es ihr Mythos von seinen Trägern verlangt. Im zentralen, offensiven Mittelfeld als Ballmagnet, über den fast alle Angriffe laufen, der sieht, was andere nicht sehen, der Pässe mit seiner Kunstfertigkeit schlägt, die niemals angelernt wirken darf, sondern gegeben scheinen muss. Rosický, der "kleine Mozart", wie er genannt wird, war einer von ihnen, aufgrund seiner unzähligen Verletzungen vielleicht kein ganz so großer wie andere prominente Träger der 10. Natürlich Pelé, der sich die Nummer 10 auch in seine Webadresse geschrieben hat, Maradona, der bisweilen einfach auch nur "El Diez" genannt wird; unvergessen auch Rivellino, Michel Platini, Roberto Baggio, Gheorghe Hagi und zuletzt Zinédine Zidane.

Doch wo sind die Künstler heute? Sechs Träger dieser mythenumwobenen Nummer bei dieser EM sitzen (oder saßen) primär auf der Bank, darunter Robbie Keane und Lukas Podolski. Beide sind auch keine klassischen 10er, ebenso wenig ist es Zlatan Ibrahimovic. Bei der Schweiz spielt Granit Xhaka mit der Nummer 10 auf der 6er-Position, Luka Modrić etwas weiter vorgerückt, ein Offensivspieler ist er jedoch nicht, auch wenn man Modrić wohl zweifellos als Ballartisten bezeichnen kann.

Von der Position und ihrem Spielstil kommen den Zuschreibungen an die Nummer 10 am ehesten Andrés Iniesta und Mesut Özil gleich, sie tragen halt den 6er respektive den 8er auf dem Rücken. Doch auch sie kommen meistens durch die Mitte, suchen den tödlichen Pass und finden ihn mitunter dort, wo ihn sonst niemand vermuten würde.

Es ist wohl kein Zufall, dass Iniesta und Özil bei Deutschland und Spanien, den besten Mannschaften des vergangenen Jahrzehnts spielen. Erstens haben sie daran selbst einen Anteil, zweitens aber scheinen nur diese Teams auch die Autorität und Selbstsicherheit zu besitzen, das Zentrum des Platzes als Quelle des finalen Passes zu suchen. Bei den meisten Mannschaften hat sich die Kreativität längst auf die Seite verlagert. Auch bei der EM sind einige 10er wie Eden Hazard, Jewgeni Konoplianka, Arda Turan oder Fjodor Smolow an den Flanken aktiv. Es sind zwar kreative Schlüsselspieler, die allerdings eher in die Trick- als in die Zauberkiste greifen, sie dribbeln lieber um die Gegner herum, als sie durch einen genialen Pass auszuspielen.

Draußen an den Seiten haben sie dafür mehr Raum als im Zentrum, und es ist auch weniger gefährlich, wenn das Risiko nicht aufgeht. In der Mitte kann der Fehlpass viel eher den tödlichen Konter bedeuten als bei Ballverlusten auf den Seiten. Es ist wohl auch ein Grund, warum nur mehr Spanien und Deutschland auf echte Künstler im Zentrum setzen, die weitgehend von Defensivaufgaben entbunden sind: Sie können es sich leisten.