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Vom Ende einer ziemlich guten Idee

Von Walter Hämmerle

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Direkte Mitbestimmung galt einmal als Hoffnungsanker für die parlamentarische Demokratie.


Noch so ein Referendum, und die Idee von mehr direkter Demokratie hat sich selbst erledigt.

Folgende Konstellation findet sich in den meisten unserer postmodernen Massendemokratien:

ein Vertrauensverlust in die etablierten Eliten, ein Aufstieg globalisierungskritischer, migrationskritischer nationalistischer Bewegungen, eine besorgniserregende Verkümmerung der Diskussionskultur, zugleich besteht ein ausgeprägter Wunsch nach mehr Mitsprache bzw. weniger Bevormundung.

Es war vor allem der Wunsch nach mehr Mitsprache der Bürger, an den sich die Optimisten unter den Zeitdiagnostikern klammerten: Was könnte einer Demokratie auch Besseres widerfahren? Zumal ja das Volk bekanntlich immer recht hat. Von daher liegt die Idee eines Ausbaus der direkten Demokratie nahe, um so neue Lebendigkeit und Unmittelbarkeit in unsere zunehmend als erstarrt wahrgenommenen politischen Systeme zu injizieren. Willkommener Nebeneffekt: Die Parteien können sich auf diese Weise unliebsamer Entscheidungen entledigen, indem sie die Streitfrage einfach den Bürgern nach dem Motto "Wie es euch gefällt" vorlegen, mit deren Spruch die Sache dann ein für alle Mal besiegelt wäre.

Ein rundum schöner Gedanke, der nur den Schönheitsfehler aufweist, die Rechnung ohne die Widrigkeiten der neuen politischen Realitäten gemacht zu haben.

Es kann durchaus sein, dass das Ergebnis des britischen Brexit-Referendums tatsächlich die Meinungslage in Großbritannien zur EU widerspiegelt. Der Wunsch, die EU zu verlassen, ist politisch völlig legitim. Es ist die Art und Weise, wie diese Kampagne geführt wurde, die alle Beteiligten, die Medien inklusive, beschämen sollte.

Was, wenn unsere Öffentlichkeiten nicht (mehr) dafür geeignet sind, große, emotionalisierende Fragen, die eine ganze Gesellschaft umtreiben, in einer Art und Weise behandeln, dass sie anschließend den Bürgern zur Entscheidung vorgelegt werden können?

Das ist ein rundum beunruhigender, ja geradezu aufwühlender Gedanke.

Es spricht einiges dafür, dass wir noch nicht so weit sind, aber man kann es auch nicht ausschließen. Die Gefahr ist auf jeden Fall mehr als nur gegeben.

Die Situation hat sich innerhalb weniger Jahre völlig gedreht: Von "Erstarrung" ist keine Rede mehr, vielmehr wird jedes Land von seiner eigenen kleinen politischen Revolution erschüttert, werden etablierte Parteien von den Wählern zum Teufel gejagt und neue Bewegungen vom grassierenden Unmut an die Regierungshebel gespült. Tiefe Verunsicherung und rasender Wandel sind die dominierenden Themen, die an Gewicht gewinnen, weil die verbliebenen Traditionsparteien ihren Gestaltungsanspruch eingebüßt haben. Ob selbst verschuldet oder unverschuldet, spielt da fast schon keine Rolle mehr.

Derzeit schaut es so aus, als ob die neuen Bewegungen die Idee der direkten Demokratie für sich erobert haben: als bisher wirksamste Waffe im Kampf gegen die Übel einer politisch sozial und ökonomisch globalisierten Welt. Ob es gegen Ceta, TTIP, die EU, die Austerität oder Migranten geht, ist fast egal.