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Narrenfreiheit versus Augenmaß

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

In die Diskussion um die Gelbsperren kommt neue Dynamik. Ausgerechnet Mats Hummels regt sogar eine Regel-Verschärfung an.


Immerhin, so etwas wie David Alaba in der Champions League 2012 kann keinem der EM-Spieler mehr passieren: im Finale wegen vorangegangener gelber Karten gesperrt zu sein. Ab dem Halbfinale werden die Verwarnungen - nicht aber eine etwaige rote Karte - gelöscht. Dass die Uefa diese Regelung damals noch nicht eingeführt hatte, Alaba also im bis dahin potenziell größten Spiel seines Lebens gegen Chelsea zuschauen musste, hatte weithin für Kritik gesorgt, zumal er sich die entscheidende Gelbsperre bei einer unabsichtlichen Aktion, als ihm im Rutschen der Ball unglücklich an die Hand gesprungen war, eingehandelt hatte. Die gelbe Karte sei ungerecht gewesen, die darauffolgende Sperre "die Steigerung der Ungerechtigkeit", hatte der damalige DFB-Chef Wolfgang Niersbach konstatiert.

Dass auch für die Champions League ebenso wie Europa- und Weltmeisterschaften, bei denen zuvor Michael Ballack im WM-Finale 2002 ein ähnliches Schicksal erlitten hatte, später umgedacht wurde, galt vielen als späte Gerechtigkeit. Nun aber stößt ausgerechnet Mats Hummels, ein Akteur also, der im Halbfinale Deutschlands gegen Frankreich am Donnerstag wegen einer Gelbsperre nicht dabei ist, die Diskussion darüber erneut an. Er finde es "nicht richtig, dass man im Halbfinale Narrenfreiheit hat. Man sollte auch fürs Finale gesperrt sein können", sagte der deutsche Innenverteidiger. Hummels kann es sich leisten, so zu argumentieren - oder glaubt es zumindest. Zwar findet er seine eigenen Karten ebenfalls ungerecht, zumindest die erste aus dem Spiel gegen die Slowakei, weil er den Ball gespielt hätte, aber nun könne sich sein "geschundener Körper noch zwei, drei Tage mehr erholen", wie er auch sagte. Und im Finale, dessen Erreichen für ihn offenbar außer Zweifel steht, wäre er ohnehin wieder unbelastet dabei.

Dennoch geht seine Argumentation zu weit. Denn das Löschen gelber Karten bedeutet keineswegs, dass die Spieler Narrenfreiheit für Brutalo-Fouls hätten; Rot wird ohnehin mit Platzverweis und Sperre geahndelt, Gelb handelt man sich schnell einmal ein. Der walisische Mittelfeldspieler Aaron Ramsey, neben Gareth Bale prägende Figur der Briten, hatte sich seine Karten für ein Hands und ein Trikotziehen abgeholt. Dass ein Spieler wie er im bis dahin wichtigsten Match seiner Karriere, dem Halbfinale gegen Portugal am Mittwochabend, zuschauen musste und nichts gegen die Niederlage unternehmen konnte, war nicht nur für ihn persönlich bitter. Sondern ein solcher Ausfall ist prinzipiell für kleinere Fußball-Nationen schwieriger zu verkraften als für die Großen - wenngleich freilich das Fehlen Hummels Teamchef Joachim Löw ebenfalls vor Probleme stellt.

Dennoch könnte man die Regel insofern auch als Foul am Wettbewerb an sich sehen, zumal zwei gelindere Gelb-Vergehen aus fünf Spielen, in denen es für die Teams um alles oder nichts geht, schon an sich etwas überhart erscheinen. In den meisten Ligen wird erst nach vier oder sogar fünf Karten gesperrt - und da ist das nächste Spiel nicht zwangsweise das Wichtigste.

Und eine EM ist eben kein Kindergeburtstag. Auch das hat die Uefa nach den fröhlichen Familienfeiern der siegenden Teams auf dem Rasen ja schon festgehalten.