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Immer nur reden, reden, reden

Von Walter Hämmerle

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Die aktuelle Unübersichtlichkeit der politischen Verhältnisse weckt eine alte Sehnsucht: jene nach starker Führung.


Die Sache mit dem "starken Mann" lässt uns Österreicher nicht und nicht los (dass dies in anderen Staaten ähnlich ist, tröstet nur teilweise darüber hinweg): Laut einer Sora-Umfrage erklären mittlerweile 40 Prozent der Bürger, in der Politik brauche es einen starken Mann. Dann fordert der Tiroler Landeschef Günther Platter die Direktwahl von Landeshauptleuten und Bundeskanzler. Und das Ganze vor dem Hintergrund eines quälend langen Wahlkampfs um den nächsten Bundespräsidenten. Dieses Amt, so wurde jahrzehntelang verkündet, sei maximal nett, aber realpolitisch irrelevant, weil einflusslos, nur um jetzt im Duell zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer als verkappte Ein-Mann-Diktatur hochgejazzt zu werden (aber natürlich nur für den Fall, dass der jeweils Falsche gewinnen sollte).

Unterm Kaiser hat es solche Debatten natürlich nicht gegeben, da war alles klar. Und wohl auch genau deshalb haben sich die Demokraten 1918/1919 dazu entschlossen, den Neuanfang als Kleinstaat ganz ohne starken Führer zu versuchen. Tatsächlich gilt das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 als ziemlich radikaler Ansatz, die Politik der neuen Republik so weit nur irgend möglich zu entpersonalisieren. Nie wieder, das war quasi der politische Überbau, sollte ein starker Mann (von Frauen war weder damals noch ist heute groß die Rede, wenn es um diese Rolle geht) die politischen Zügel in der Hand haben.

Aber Zeiten ändern sich und Auffassungen auch. Also einigten sich, einem größeren Trend entsprechend, Christlichsoziale und Sozialdemokraten mit Ach und Krach 1929 auf eine Reform des Bundes-Verfassungsgesetzes, das die Parlamentarisierung reduzierte und die Position des Bundespräsidenten massiv aufwertete, was nicht zuletzt durch die Volkswahl zum Ausdruck kam.

Es spricht für die typisch österreichische Umkehrbarkeit alles Unumkehrbaren, dass ausgerechnet die SPÖ, die so vehement für die Entpersonalisierung in der Ersten Republik kämpfte, von der Personalisierung in der Zweiten profitierte und sich diese im Amt des Bundespräsidenten auch zu eigen machte, wenngleich mit der unausgesprochenen Selbstverpflichtung zu politischer Unauffälligkeit. Der erste Nicht-SPÖ-Kandidat zog mit Kurt Waldheim erst 1986 in die Hofburg ein. Zuvor gelang es Bruno Kreisky, die politische Bühne für ein Jahrzehnt im Alleingang zu bespielen.

"Wir brauchen keinen starken Bundespräsidenten, wir haben 2100 Bürgermeister", pflegt der Verfassungsrechtler Manfried Welan zu sagen. Tatsächlich: Wenn sich irgendwo das Konzept einer starken Führung rechtlich manifestiert, dann ist es auf Gemeindeebene, wo nach langem verfassungsrechtlichem Hin und Her die Bürgermeister in sechs von neun Bundesländern direkt gewählt werden. Noch 1991 befand der Verfassungsgerichtshof, die Direktwahl stehe im Widerspruch zum parlamentarisch-demokratischen Prinzip.

Gemeinhin gelten ja die Landeshauptleute als die wahren Kaiser dieses Landes. Der Staatsrechtler Adolf Merkl (1890-1970) erkannte schon früh, dass es hier die stärkste Tendenz zu einer Präsidialisierung politischer Macht gibt. Und das ganz ohne Direktwahl.