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Noch mehr Macht

Von Martyna Czarnowska

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Mit der Durchsetzung des Präsidialsystems in der Türkei möchte Recep Tayyip Erdogan seine Position weiter stärken.


Auf seine demokratische Legitimation kann er sich durchaus berufen. Recep Tayyip Erdogan ist der erste Staatspräsident der Türkei, den das Volk gewählt hat. Und dieses brauchte nur einen Urnengang, um sich zu entscheiden: Schon in der ersten Runde erhielt der langjährige Premier und Vorsitzende der konservativen, im Islam verwurzelten Partei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das war 2014. Einige Jahre zuvor hatte die Bevölkerung in einem Referendum für eine Direktwahl des Staatsoberhaupts votiert, das bis dahin vom Parlament gekürt wurde.

Knapp zehn Jahre später könnte eine weitere Volksabstimmung zum Präsidentenamt anstehen. Denn Erdogan will diese Position stärken und damit seine Macht ausbauen. Zwar ist er auch jetzt keineswegs ohne Einfluss: Er gibt Ton und Richtung der Politik seiner Regierungspartei vor, sowohl im Inland als auch in den Gesprächen mit der EU, mit der Ankara über einen Beitritt zur Gemeinschaft verhandelt. Doch schweben ihm mehr Kompetenzen vor, ähnlich denen, die den Präsidenten der USA oder Frankreichs zufallen.

Dafür müsste aber die türkische Verfassung geändert werden, die die gesetzgebende Gewalt bisher in die Hände des Parlaments legt. Für solch eine Reform hat die AKP nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit in der Großen Nationalversammlung in Ankara. So kommt das Instrument des Referendums ins Spiel: Der Gesetzesvorschlag zur Verfassungsänderung wird der Bevölkerung vorgelegt. Unterstützung für diesen Schritt hat der AKP bereits die kleinste Oppositionspartei zugesagt, die ultranationalistische MHP, und damit ist eine Mehrheit von drei Fünfteln der Abgeordneten gesichert. Der Entwurf soll schon kommende Woche im Parlament beraten werden. In der ersten Hälfte des kommenden Jahres könnte dann die Volksabstimmung stattfinden.

Doch schon jetzt mangelt es nicht an Kritik an den Plänen - und das hängt mit der Persönlichkeit des Präsidenten selbst zusammen. Denn Erdogan ist ein Mann, der die Politik seines Landes geprägt hat wie kaum ein anderer in den Jahrzehnten zuvor. Unter seiner Führung hat die AKP Reformen in etlichen Bereichen angestoßen, die Wirtschaft angekurbelt, über eine friedliche Lösung im Kurden-Konflikt nachgedacht, die Türkei so weit der EU angenähert, dass Ankara und Brüssel Beitrittsverhandlungen aufnehmen konnten. Doch war es auch Erdogan, der später maßgeblich daran beteiligt war, dass das Land von seinem Reformweg wieder abwich. Die Repressionen gegen Journalisten, Oppositionelle oder Regierungskritiker nahmen wieder zu, die Kämpfe im Südosten der Türkei zwischen der türkischen Armee und kurdischen Rebellen flammten erneut auf, Massenentlassungen und -verhaftungen folgten auf einen Putschversuch im Sommer. Mittlerweile plädiert das EU-Parlament dafür, die Beitrittsgespräche auszusetzen.

Dass Erdogan seine Macht nun für weitere Jahre einzementieren möchte, löst nicht nur in der EU, sondern auch in Teilen der Türkei Sorgen aus. Dennoch begründet der Präsident seine Ambitionen mit dem, worauf er sich so gern beruft: dem Willen des Volkes.