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Hitler und die Lehre des Zuckerbäckers

Von Edwin Baumgartner

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Kluge Zuckerbäcker lassen ihre Lehrlinge in den ersten Tagen nach Herzenslust kosten. Nach kurzer Zeit verlieren die Delikatessen ihren Reiz. Der Lehrling hat sich abgegessen, er kostet nur noch aus beruflichen Gründen. Hätte der Zuckerbäcker ein Kost-Verbot ausgesprochen, hätte er den gegenteiligen Effekt erzielt. Ganz so, wie uns seinerzeit unser Deutschlehrer strengstens untersagt hat, Robert Musils "Verwirrungen des Zöglings Törleß" zu lesen "wegen des unmoralischen Inhalts". Wenig später waren wir bereit, das Buch in der Klasse durchzunehmen. Verbote machen das Verbotene erst wirklich reizvoll. Eva kann davon ein Lied singen, seit sie in den Apfel biss.

Wen wundert es also, dass Adolf Hitlers "Mein Kampf" zu den Best- sellern des Jahres 2016 gehört? Seit Kriegsende war der Nachdruck des Buchs verboten gewesen. In oft dubiosen "Militaria"-Antiquariaten musste man für eine Ausgabe bis zu 500 Euro zahlen. Allein der Kontakt mit den Anbietern war nicht jedermanns Sache.

Jetzt aber kann man einmal ganz offiziell lesen, was einer der größten Starverbrecher der Geschichte geschrieben hat. Der Staudamm des Verbots ist geöffnet, "Mein Kampf" flutet hervor und wird Bestseller. Das ist kein Fehler des Verlags, der damit gar nicht Profit machen will, es ist auch keiner der Leser. Es ist das Resultat der Dämonisierung und des Verbots. Und wie ein Zuviel an Pralinen dem Zuckerbäckerlehrling den Appetit auf Süßes verdirbt, verderben wenige Zeilen von "Mein Kampf" die Lust auf ultrarechtes Gedankengut.

Endlich hat die Normalisierung im Umgang mit der Hitler-Schwarte eine Chance.