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Frieren für die Demokratie

Von Martyna Czarnowska

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In Polen wird Opposition nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße betrieben.


Der Kaffee hilft ein wenig - und der Heizgenerator. Vor dem roten Zelt gegenüber dem Parlamentsgebäude hält sich ein Grüppchen von Menschen mit heißen Getränken aus der Thermoskanne warm. Der Generator brummt leise. Gerade ist in Warschau der erste Schnee gefallen, der auch liegen geblieben ist. Die Menschen plaudern miteinander auf ein paar Plastikstühlen sitzend, gehen dann ein paar Schritte hin und her. Sie halten Wache. Weil die Demokratie in Polen in Gefahr sei, sagen sie.

"Bunte Opposition" ist auf einem Plakat an der Zeltplane zu lesen. Darunter sind Zettel befestigt, mit Forderungen, deren Themenpalette vom Umweltschutz bis zu sozialen Leistungen reicht. Eines ist aber allen gemeinsam: Kritik an der Regierung der nationalkonservativen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczynski.

Seit drei Wochen harren die Menschen hier aus, genauso lang wie die oppositionellen Abgeordneten gegenüber im Sejm, im polnischen Parlament. Sie protestieren gegen eine umstrittene Budget-Abstimmung; und beide Gruppen, draußen wie drinnen, wollen das bis zur nächsten Parlamentssitzung in der kommenden Woche tun.

Doch geht es nicht nur um das Votum. Die Menschen vor dem Zelt sind schon länger mit der Politik von PiS unzufrieden. Sie haben sich in unterschiedlichen Gruppierungen zusammengeschlossen: Die einen unterstützen das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD), das bereits in den Monaten zuvor Demonstrationen organisiert hatte; andere bilden einen informellen Verband, der sich "Obywatele RP", Bürger der Republik Polen, nennt.

Zu diesen gehört Ewa Blaszczyk, die sich soeben einen Kaffee aus der Kanne eingeschenkt hat. Die wochenlange Protestaktion erschöpft; sie geht auf Kosten des Privat- und Berufslebens. Manche Teilnehmer kommen nach der Arbeit für einige Stunden zum Zelt, und ein paar Rekordhalter sind den ganzen Tag über anwesend. Doch auch in der Nacht muss jemand da sein - so sind die Vorschriften. Der harte Kern der Truppe besteht aus einem guten Dutzend Menschen, die einander ablösen.

Ewa Blaszczyk ist Programmiererin und kann sich ihre Arbeit freier einteilen als andere. Dennoch ist der Protest kräfteraubend. Aber es gelte nun einmal, etwas gegen die "Demontage der Demokratie" zu unternehmen. "Was PiS macht, ist ein langsamer Marsch in Richtung Diktatur", sagt Blaszczyk. Die Einflussnahme auf den Verfassungsgerichtshof, Änderungen im Schulwesen, Umbesetzungen in Medien und staatsnahen Betrieben, die Betonung konservativer katholischer Vorgaben, das Durchpeitschen von Gesetzesentwürfen mit PiS-Mehrheit: All das nährt die Vorwürfe an das Kabinett von Premier Beata Szydlo und vor allem an Parteivorsitzenden Kaczynski, den Staat nach eigenen Vorstellungen umzubauen.

Dass dies nach dem Systemumsturz 1989 nochmals passieren würde, schien vor einiger Zeit noch unmöglich, erklärt Blaszczyk. Trotzdem müsse die Demokratie nun wieder verteidigt werden. Das wollen Obywatele RP auch den anderen Bürgern Polens bewusst machen - in der Hoffnung, dass diese bei der nächsten Wahl PiS keine Mehrheit mehr verschaffen.