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Die Bereitschaft, unrecht zu haben

Von Walter Hämmerle

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Politiker sind überzeugt, immer recht haben zu müssen, weil sonst wären sie ja schlechte Politiker. Was für ein Irrglaube.


Zum Politiker-Sein gehört ein gut ausgestattetes Selbstbewusstsein ebenso dazu wie eine unerschütterliche Überzeugung in die eigene Unfehlbarkeit. (Seltsamerweise trifft das auch auf Journalisten zu, obwohl deren Beruf eigentlich einer allgegenwärtigen Skepsis entspringt, die auch vor der eigenen Arbeit nicht Halt machen sollte.) Umso bemerkenswerter ist, dass der schöne katholische Brauch der Selbstbezichtigung unter Politikern derzeit hoch im Kurs steht.

Angefangen hat es damit, dass der in dieser Hinsicht unverwüstliche Erhard Busek sich selbst und etlichen anderen Vertretern seiner Generation vor einigen Jahren die Frage "Was haben wir falsch gemacht?" in Buchform gestellt hat. Unmittelbarer Anlass waren damals die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen der globalen Finanzkrise 2007. Nun kursiert unter Entscheidern und Meinungsmachern im virtuellen Raum erneut die Ermunterung, nach eigenen Irrtümern zu fahnden.

Christoph Chorherr, Stadtpolitiker der Wiener Grünen und darüber hinaus einer der interessantesten politischen Köpfe dieses Landes, hat die Chance zur kritischen Selbsterforschung ergriffen. Entgegen anderslautenden Überzeugungen verträgt sich nämlich die Attitüde politischer Unfehlbarkeit so gar nicht mit der eigentlichen Aufgabe demokratisch legitimierter Politiker. Im Gegenteil: Der notwendige Mut, Bestehendes in Frage zu stellen und neue Lösungen für alte Probleme zu suchen, schließt die Bereitschaft zu Fehlern zwingend mit ein. Und weil das die wenigsten Politiker offen eingestehen, gibt es für Journalisten wie politische Gegner kein höheres Ziel, als einen solchen Politiker bei einem Irrtum zu ertappen, was wiederum manche nicht davor zurückschrecken lässt, die eigene Unfehlbarkeit im Nachhinein zu konstruieren. Was die einen dann Lüge nennen und andere als Politik missverstehen.

Vier Punkte nennt Chorherr, wo er bei seiner Einschätzung der Zukunft gründlich daneben lag: bei der Beurteilung der Folgen der Diktatorenstürze in Folge des Arabischen Frühlings, die er zu Beginn verklärte; bei der plebiszitären Demokratie, die er heute durch Desinformationskampagnen diskreditiert sieht; bei "Peakoil", also der Erwartung, dass der Höhepunkt der Erdölförderung unmittelbar bevorstehe, was jedoch vom Erfindergeist der Erdölindustrie und immer neuen Fördermethoden konterkariert wurde; und schließlich bei der Überzeugung, dass es mit dem E-Auto eher nichts werden würde - auch dies, wie Chorherr eingesteht, wohl eine Unterschätzung des menschlichen Erfindergeists (obwohl: Fix ist dieser Erfolg noch längst nicht).

Hut ab vor Chorherr.

Befragt, was denn jetzt notwendig sei, antwortete der Philosoph Wolfram Ellenberger einmal: "Ernsthaftigkeit, der Situation realistisch ins Auge zu sehen, ein erwachsenes Gespräch zu führen, das sich von Verherrlichung und Dämonisierung gleichermaßen fernhält. Wir bewegen uns derzeit alle auf schwankendem Grund. Und das erfordert die Bereitschaft, unrecht zu haben."

Von allen ungeschriebenen Baugesetzen unserer Demokratie ist die Möglichkeit, dass der andere recht hat, das meist unterschätzte.