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Aus Dummheit oder Ignoranz

Von Walter Hämmerle

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Alle reden von Trump, Putin und Co, wenn es um die Feinde der Demokratie geht. Dabei höhlen wir sie selbst aus.


Aufrufe zur Verteidigung der Demokratie sind dieser Tage in aller Munde. Schließlich sind Trump, Putin, Orban, Kaczynski, Grindeanu (das ist der linke Premier Rumäniens), Maduro und natürlich Erdogan politische Realität, und die Trias Strache, Wilders sowie Le Pen eine mehr oder weniger realistische Option. Mit den Warnungen vor diesem "Wild Bunch" an zwielichtigen Politiken in Regierungsverantwortung werden derzeit ganze Bibliotheken gefüllt. Dass unsere Demokratie von einer weiteren Seite mindestens so sehr bedroht wird, droht in der aktuellen weltpolitischen Daueraufgeregtheit fast völlig unterzugehen.

Dabei ist dieser unscheinbare Feind der Demokratie mitten unter uns und hat sogar einen Namen: Die Dummheit vieler Bürger, die man, wenn man denn glaubt, das harsche Urteil unbedingt ein wenig abmildern zu müssen, auch schlicht politische Unbedarftheit nennen kann. Oder Naivität über der Grenze zur Fahrlässigkeit hinaus.

Der größte Feind des Wahlgeheimnisses sind mittlerweile die Wähler selbst. Und die Politik versucht, wenigstens ein rudimentäres Gespür für den eminenten Stellenwert am Leben zu erhalten, den die Prinzipien des freien, geheimen und unmittelbaren Wahlakts für die Legitimität unserer Demokratie besitzen. Sieben Jahrzehnte reichen offensichtlich, um dieses fundamentale Wissen gefährlich erodieren zu lassen.

In Deutschland etwa sahen sich die Regierungsparteien nun veranlasst, Selfies aus der Wahlkabine künftig zu verbieten. Die Allgegenwärtigkeit von Smartphones mit Kamera- und Videofunktion in Verbindung mit demokratiepolitischer Unkultur macht diese rechtliche Klarstellung leider notwendig. Wie sehr konnte man in Österreich, wo die Zulässigkeit von Selfies in der Wahlkabine vom Gesetzgeber (noch) nicht explizit geregelt ist, beim Dauerwahlkampf um die Hofburg live auf Social Media verfolgen, wo unzählige User den festen Drang verspürten, ihr höchstpersönliches Wahlgeheimnis mit Füßen zu treten.

Es ist noch keine drei Generationen her, dass hierzulande die Idee der Demokratie endlich zur gelebten Praxis aufstieg. Und wer nicht glaubt, dass es auch anders geht, muss nur ein ausgewähltes Qualitätsmedium seiner Wahl zurate ziehen. Und trotzdem haben diese Erfahrungen nicht dazu geführt, den demokratischen Wahlakt - so frei, geheim und so unmittelbar, wie es die Umstände unsere Zeit erlauben - hochzuhalten.

Es ist ein erstaunlicher Paradigmenwechsel, dass wir unsere Demokratie nicht länger nur vor den üblichen und daher absehbaren Verdächtigen, also machthungrigen Politikern, Parteien und Interessen, schützen müssen, sondern auch noch vor der Gleichgültigkeit und Dummheit ihrer eigenen Bürger.

Das erhöht die Last auf den Schultern derjenigen, denen die Bewahrung unserer Regierungsform ein Anliegen ist, beträchtlich. Wie sehr hat nicht zuletzt das Grundsatzurteil zur Aufhebung der Stichwahl der Bundespräsidentenwahl im vergangenen Jahr gezeigt. Die Zahl derjenigen, die im Angesicht erstaunlicher Schlampereien und Regelverstöße im Zweifel ein Auge zudrücken, ist größer, als man in einer wehrhaften Demokratie vermuten sollte.