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Europas Kern

Von Martyna Czarnowska

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Polen könnte mit Deutschland eine wesentliche Rolle in der EU spielen - wenn es wollte.


Der Kern Europas - das Konzept von einer Europäischen Union der unterschiedlichen Abstufungen ist nicht totzukriegen. Einerseits ist das auch der Realität geschuldet: Dem Schengen-Raum oder der Euro-Zone gehören ja nicht alle Mitgliedstaaten an. Doch in welchen anderen Zusammenhängen die Idee immer wieder auftaucht, kann für Erstaunen sorgen.

Beim Begriff Kerneuropa schweifen die Gedanken nämlich eher nach Deutschland oder Frankreich als nach - Polen. Aber gerade dieses Land wurde nun als Teil des engsten Kreises bezeichnet. Und zwar von einem Deutschen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand am Freitag bei seinem Besuch in Warschau Worte des höchsten Lobes für die Gastgeber. "Polen gehört zum Kern Europas", stellte er fest: "Und Polen wird gebraucht, wenn wir diese europäische Krise, in der wir uns zweifelsohne befinden, überwinden wollen." Steinmeiers Amtskollege Andrzej Duda hörte das nur allzu gern und versicherte im Gegenzug seinem Partner, ein Fürsprecher guter deutsch-polnischer Beziehungen zu sein.

Allerdings ist das, was die beiden Politiker behaupten, so einfach nicht. Polens nationalkonservative Regierung hat bereits den Unmut so mancher westeuropäischer Länder auf sich gezogen, die auf eine Umverteilung von Flüchtlingen in der EU drängen. Wegen umstrittener Änderungen am Verfassungsgericht in Warschau hat die EU-Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Bilaterale Zwistigkeiten gibt es ebenfalls: Die Errichtung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist ein Projekt, das Deutschland interessiert und in Polen auf heftige Kritik stößt. Eine einseitige Stärkung der Euro-Zone wird in Warschau ebenfalls abgelehnt.

Das aber sind die Themen, die zwischen Berlin und Paris besprochen werden. Es ist die Achse, zu der auch Warschau gehören könnte. Es gäbe sogar ein Format dafür: das so genannte Weimarer Dreieck. Doch mit ihrer in etlichen Bereichen harschen Haltung macht es die polnische Regierung den Partnern nicht leicht. Sie rückt gleichzeitig immer mehr aus dem Fokus: Schon am nächsten Tag nach seiner Amtsübernahme reiste der französische Staatspräsident Emmanuel Macron nach Berlin. Auf die Idee, die Zusammenkunft zu einem Dreier-Treffen mit einem Vertreter Polens auszuweiten, ist niemand gekommen. Wie Warschau bei entscheidenden Sitzungen überhaupt eine geringere Rolle als früher zu spielen scheint.

Dass sich dies wieder ändert, würde kaum an Deutschland scheitern. Berlin wäre zu einer engen Zusammenarbeit bereit. Und auch in der polnischen Bevölkerung gibt es viel Sympathie für die Nachbarn, wie eine Untersuchung des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten und der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen ergab. Die deutsche Europapolitik beurteilen die Befragten mehrheitlich positiv - auch wenn 37 Prozent der Menschen meinen, Deutschland agiere auf Kosten anderer Länder. Doch das Bild kann sich mit der Zeit trüben: Gleichzeitig weist die Studie auf eine "inzwischen stärkere anti-deutsche Rhetorik im öffentlichen politischen Diskurs" hin. Den Kern Europas bringt das nicht voran - und Polen schon gar nicht.