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Iranischer Spagat zwischen Mittelalter und Moderne

Von Jaleh Lackner-Gohari

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Gastkommentar: In der Diktatur den Boden für Bürgerrechte aufzubereiten, gleicht der Quadratur des Kreises. Die Frauen spielen dabei eine immer wichtigere Rolle.


Ein Zeitlupenspagat auf Iranisch, zwischen Mittelalter und heute - wie das geht, zeigt die iranische Frauenbewegung, mit kleinen Schritten vorwärts. Kaum eine Woche nach der Präsidentschaftswahl proklamierten junge Frauen einen "gewaltfreien Mittwoch ohne Zwang". Frauen und Männer wurden eingeladen, sich jeden Mittwoch formlos dieser friedlichen Manifestation für Freiheit und Frieden anzuschließen: in weißer Kleidung und bei Frauen dazu mit einem weißen Schal, locker um das Haupt gelegt. Videobotschaften von ansprechenden jungen Frauen erklären wöchentlich, dass der Iran ein Land für alle ist: für jene, die sich für den Hijab entscheiden - und auch für alle anderen, die das nicht tun.

Eine Analyse der Bedeutung dieses in Anbetracht der institutionalisierten Repression in Iran mutigen Schrittes ist nicht einfach. Diese Aktion, so bald nach der Wahl, manifestiert den politischen Willen von Millionen Wählerinnen, der Hassan Rohanis Wiederwahl für weitere vier Jahre möglich machte. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage des Großteils der Bevölkerung - zum Teil unter Rohanis Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad hausgemacht, aber auch durch die Sanktionen, die mehr oder minder seit der Revolution im Jahr 1979 in Kraft waren, verursacht - hat diese den Versuchungen einiger populistischer Präsidentschaftskandidaten widerstanden. Manche Wortmeldungen zu Wirtschaftsthemen hörten sich fast so an wie bei einer Auktion: Da überbote die Kandidaten einander mit Versprechungen: monatliche Barauszahlungen, Subventionen für alle Staatsbürger. Rohani und sein Vize Eshagh Dschahangiri, der ebenfalls als Kandidat antrat, stellten dem die Frage entgegen, woher denn dafür die Milliarden aus der angeschlagenen Wirtschaft genommen werden sollten.

Wahlversprechen der Populisten verfingen nicht

Die Populisten weckten mit ihren Wahlzuckerln zwar große Erwartung im Mittelstand und in den ärmeren Schichten, doch ihre Rechnung ging letztlich nicht auf. Rohani, der insbesondere in der Woche vor der Wahl seine Kampagnen an die Zivilgesellschaft, ganz besonders an Frauen und Jugendliche, adressierte und reale Wirtschaftsprobleme eingestand wie auch Lösungsansätze dazu präsentierte, wurde mit mehr als 23 Millionen Stimmen gewählt.

Natürlich hätte sich die Bevölkerung wirklich freie Wahlen - ohne Vorauswahl der Kandidaten durch den Wächterrat - gewünscht. Doch es war klar, dass diese heikle Frage nicht zum jetzigen Zeitpunkt und nur erst später einmal angegangen werden kann. Bei den Machtstrukturen des derzeitigen paradoxen Herrschaftssystems im Iran kann man eben nur auf die Umsetzung kleiner machbarer Schritte setzen.

Der Iran hat die Revolution und ihre Folgen nicht vergessen. Die meisten Einwohner wissen, dass ihr Land keine weitere Revolution brauchen und verkraften kann. Eine Besserung der Situation ist nur durch eine allmähliche Veränderung von innen zu erreichen, getragen von jenen Kräften, die an den tiefgreifenden und schwierigen Erfahrungen der vergangenen 38 Jahre gereift und möglicherweise imstande sind, einen eigenständigen Weg zur Demokratisierung des Iran zu kontextualisieren. Es ist, als würde man aus vorgegebenen Teilchen ein Mosaik zusammensetzen.

Rohanis Wahlkampf berücksichtigte die Frauen

Nach den unvergesslichen Wahlen im Jahr 2009 schien die heutige iranische Zivilgesellschaft durch die gewaltigen Ereignisse in Passivität und ins Verstummen verfallen zu sein. Offenbar entsprach der Schein aber nicht einer Wirklichkeit, die sich unaufhaltsam in vielen Köpfen aufbaute. In den Köpfen von Menschen, die sich als Teil der heutigen Welt verstehen, keinen Krieg und kein sonstiges Blutvergießen mehr haben wollen und fest entschlossen sind, wieder ihren Platz in der eigenen Gesellschaft und in der Welt einzunehmen.

Es ist nicht möglich, hier auf alle Beweggründe und innergesellschaftlichen Einzelheiten einzugehen. Ein Blick aus der Distanz kann aber bei einiger Genauigkeit der Beobachtung aufzeigen, welchen wichtigen Anteil Frauen bei dieser jüngsten Wahl im Iran hatten. Das entging auch dem versierten Politiker Rohani nicht. Eine seiner letzten Wahlveranstaltungen in einem Stadion mit tausenden Anhängern, die unentwegt zivilgesellschaftliche Parolen skandierten, wurde von einer Frau moderiert. Und auf dem Podium saßen neben Rohani bekannte weibliche Politikerinnen. Darbietungen eines kleinen Mädchens und dann einer Teenagerin sollten daran erinnern, dass die Zukunft des Landes zum gleichen Teil auch den Frauen gehört.

Jetzt, nach den Wahlen, schreitet die bisher sehr geduldig gewesene Weiblichkeit zur Tat. Mit ihren Forderungen, die von Rohani als Wahlversprechen angesprochen wurden, geht sie auf die Straße und erinnert daran, dass sie eingelöst werden müssen, und zwar eben immer mittwochs. Videos dazu sind bereits online. Mit Regelmäßigkeit fallen die locker um den Kopf gelegten Schals im Laufe der Statements auf die Schulter herunter. Der gewohnte reflexartige Handgriff, um den Hijab zu richten, findet hier nicht statt. Die Haare bleiben sichtbar, während weiter über wichtige und lang anstehende Themen gesprochen wird: das Recht auf die freie Wahl der Kleidung auch in der Öffentlichkeit, aber auch der friedliche Weg, den sich die Frauen für ihre Heimat wünschen.

Es hat einige Generationen gedauert, bis diese Frauen in großer Anzahl ihren Platz in der repressiv kontrollierten iranischen Gesellschaft einnehmen konnten. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Alphabetisierung in den vergangenen 30 Jahren Frauen selbst in entlegenen Gebieten erreicht hat. In diesem Zeitraum ist auch an allen Universitäten im Land der Frauenanteil unter den Studenten auf mehr als 60 Prozent gestiegen. Ein bisschen hat das die Machthaber beunruhigt - die Dynamik, die daraus hervorgegangen ist, hatten sie nicht bedacht. Im Iran hat sich eine Metapher für diese schleichenden Veränderungen eingebürgert. Diese harmlosen Ansätze, die stetig und ohne großes Aufheben wachsen, werden mit einem Auto verglichen, das in der Nacht langsam, mit ausgeschalteten Scheinwerfern, fährt.

Eine Stärkung der wachsenden Zivilgesellschaft im Land

Friedlich, durchaus fokussiert und sehr bestimmt haben die iranischen Frauen die wachsende Zivilgesellschaft mit Impulsen gestärkt, die deren Sensoren über die Jahre unweigerlich täglich aufnehmen mussten. Sie wurden zu aufgeklärten Müttern der nun bereits dritten Generation seit der Revolution. Sie haben in patrimonialen Familienstrukturen demokratische Impulse hineingebracht. Sie haben scharfsinnig erkannt, dass die Menschen im Iran heute am dringendsten nicht eine Erhöhung von Almosen (wie sie Rohanis Konkurrenten ins Spiel gebracht haben) brauchen, sondern Arbeitsplätze (die speziell im Falle von Frauen massiv von der Gegenseite gestrichen wurden, etwa in der Verwaltung). Sie haben auch begriffen, dass der Iran Frieden und Weltoffenheit braucht und die Zukunft, die sie sich wünschen, sich nicht mit Feindbildern und Drohungen gestalten lässt. Wenn wir von der schleichenden Entstehung einer iranischen Zivilgesellschaft sprechen, dann sprechen wir in erster Linie von ihren Frauen.

Ihnen ist es gelungen, den absoluten Maßstab der herrschenden Repression mit viel Geduld etwas zu biegen und die allgegenwärtige Vorschriften immer wieder einmal zu ignorieren, um im Iran eine neue politische Kultur zum Leben zu erwecken.

Zur Autorin

Jaleh
Lackner-Gohari

wurde im Iran geboren und lebt in Wien. Sie war als Ärztin tätig und Menschenrechtsaktivistin bei UN-Organisationen. 2012 wurde sie unter anderem für ihren Einsatz in Kriegsgebieten mit dem MiA Award ausgezeichnet.