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"Es gibt nur ein Thema: muslimische Zuwanderung"

Von Isolde Charim

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Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Eine Antwort.


Die muslimische Zuwanderung sei das einzige, das "epochale" Thema unserer Zeit - so Hans Rauscher unter Berufung auf den Politologen Fritz Plasser. Manchmal muss man auch klugen Leuten widersprechen. Manchmal sogar zweien gleichzeitig. Nicht weil es das Problem nicht gäbe, sondern weil dessen Charakterisierung irreführend ist. Denn das Problem der muslimischen Migration ist nicht epochal, sondern akut. Das ist ein Unterschied ums Ganze.

Epochal ist ein Problem ob seiner realen Größe, akut aber wird es ob der Intensität der Gefühle, die es weckt. Dass kein anderes Thema greift, ist nicht einfach ein Hinweis auf die Größe des Problems, sondern auf die Größe der investierten Emotionen.

Es ist nicht deren reale Dimension, die eine gesellschaftliche Situation akut werden lässt. Zur Realität muss noch etwas hinzukommen, um die Leute emotional zu bewegen.

Vorstellungen, die die Fakten interpretieren. Fantasien, die Fremde in eine Bedrohung verwandeln. Umcodierungen, die aus gesellschaftlichen Veränderungen deren Untergang machen. Erst die Verbindung eines Problems mit solchen Imaginationen, erst dessen imaginäre Aufladung macht eine schwierige Situation zu einer akuten. Das ist es, was bei der muslimischen Migration passiert. Soziale Frage? Umwelt? Pflegeskandal? Keine Chance. Denn die Verbindung mit der Imagination, die Aufladung der Migration erzeugt eine geradezu libidinöse Fixierung auf das Thema.

Ja, es gibt Probleme. Migration schafft Probleme. Niemand kann behaupten, dass das eine leichte Aufgabe ist. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung - logistisch, organisatorisch, ökonomisch, bildungspolitisch, kulturell, ja auch sicherheitstechnisch.

Aber der Umgang mit diesen Herausforderungen auch und vor allem seitens der Politik ist nicht der, pragmatische Probleme pragmatischen Lösungen zuzuführen. Im Gegenteil. Die Politik müht sich redlich - die FPÖ hat da längst ihr Alleinstellungsmerkmal eingebüßt -, die Realität der Probleme in existenzielle Szenarien umzucodieren, die man mit Ausnahmeregelungen beantwortet. Wie etwa dem Burkaverbot, bei dem es ja nicht um die kleine Menge der Burkaträgerinnen geht (die wären der Mühe nicht wert), sondern um die große Menge an Unbehagen daran. Das Gesetz ist eine Botschaft an die ÖsterreicherInnen: Wir bestätigen Euch in Eurem Gefühl, dass das nicht gut ist.

Die emotionale Aufladung, das Akut-Machen der Migration verhindert aber das eine, das nottäte: den nüchternen Umgang mit der Situation. Reale Probleme kann man pragmatisch lösen. Libidinöse Fixierungen aber nicht. Dagegen kommen Vernunftregulierungen nicht an.

Die Zählebigkeit dieser Fixierung rührt aber nicht nur von negativen Leidenschaften, von Ressentiments her. Sie wird auch gestützt durch einen Mehrwert. Man erhält ja etwas dafür: die Bekräftigung der eigenen Identität. Die wird gratis mitgeliefert. Tatsächlich gratis. Denn es ist keine Identität wie die anderen - ob christlich oder proletarisch, immer wurde einem etwas dafür abverlangt. Im Tausch gegen die Ablehnung der Migration hingegen erhält man eine Identität ohne Leistung: die nationale. Da reicht die Geburt.