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Der Mörder, der gar nicht gemordet hat

Von Alexander U. Mathé

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Alexander U. Mathé

Eine spezielle Gesetzeslage bringt einen Burschen in den USA lebenslänglich hinter Gitter.


Stellen Sie sich vor, Sie werden wegen Mordes verurteilt, obwohl Sie niemanden umgebracht haben. Ärgerliche Sache. Richtig ungerecht. Doch was, wenn es gar nicht unrecht war? Weil das Gericht ohnedies einwandfrei festgestellt hat, dass die Bluttat ein anderer begangen hat. Trotzdem verurteilt es Sie - dem Gesetz folgend - wegen Mordes. Österreichern wird jetzt die surreale Welt Kafkas einfallen. Doch Realität ist diese Geschichte soeben in den USA geworden. Genauer: Im Bundesstaat Alabama. Der 18-jährige Lakeith Smith wurde dort vergangene Woche zu 30 Jahren Haft wegen Mordes an seinem Freund A’Donte Washington verurteilt. (Hinzu kommen noch 20 Jahre für Diebstahl und 15 für Raub, also insgesamt 65 Jahre.) Vor drei Jahren war Smith mit vier (älteren) Freunden in Häuser in der Stadt Milbrook eingebrochen. Aufmerksame Nachbarn alarmierten die Polizei. Es kam zu einer Schießerei, während der einer der Polizisten Washington erschoss. Das ist ganz klar durch die Aufzeichnungen der Bodycam des Polizisten dokumentiert. Dieser wurde vom Gericht umgehend wegen Notwehr und Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten von jeglichem Verdacht eines Fehlverhaltens freigesprochen. Smith hingegen wurde durch eine komplizierte Mischung aus Komplizengesetz und einem in unseren Breitengraden inexistenten Schwerverbrechen-Mordgesetzes verurteilt. Die grundsätzliche Logik dahinter: Durch seine Beteiligung an dem Raubzug hat Smith den Mord an seinem Kumpel provoziert. Wären er und die anderen nicht auf Raubzug gegangen, wäre die Polizei nicht gerufen worden. Wäre die Polizei nicht gerufen worden, wäre es nicht zur Schießerei gekommen. Wäre es nicht zur Schießerei gekommen, hätte der Polizist Washington nicht töten müssen (in Notwehr). Also ist Smith ein Mörder. Fast schon marginal ist da die Tatsache, dass Smith zum Tatzeitpunkt gerade einmal 15 Jahre alt war. In Fällen von Raub oder Mord, werden 16- und 17-Jährige in Alabama quasi automatisch vom Jugendstrafrecht ausgenommen. Da kommt es auf das eine Jahr wohl auch nicht an, das Smith jünger ist. Zudem ist Smith auch noch ein Schwarzer. Für Alabama ist zwar keine entsprechende Statistik auffindbar, aber im verhältnismäßig liberalen Bundesstaat New Jersey sind knapp 90 Prozent der Jugendlichen, die die für Erwachsene vorgesehene Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, Schwarze oder Latinos. Nachdem er zu 65 Jahren Haft verurteilt wurde, soll Smith dem Richter ins Gesicht gelacht haben und überhaupt während des ganzen Prozesses fidel gewesen sein. Das kann an der Ironie des Rechts liegen. Smith hätte so wie die anderen drei Mitangeklagten noch vor dem Prozess einen Deal über 25 Jahre Haft akzeptieren können. Er hätte dafür nur den Mord, den er nicht begangen hat, gestehen müssen. Mit solchen Deals werden in den USA die meisten Strafverfahren abgeschlossen. Sie werden mitunter deshalb so gerne akzeptiert, weil die Angeklagten Angst davor haben, im Verfahrensfall eine höhere Strafe zu erhalten - wie der Fall Smiths bestätigt. Das Lachen Smiths kann natürlich auch an seiner jugendlicher Unreife liegen. Vielleicht lachte er aber auch nur über die Absurdität dieses Rechtsdenkens.