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Nur mehr Jäger, keine Spieler

Von Klaus Huhold

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Der moderne Fußballer ist ein eigenartiges Wesen. Er will den Ball oft gar nicht haben.


So auf der psychologischen Ebene ist der Reiz des Fußballs - sagen halt so manche Psychologen, die sich mit ihm beschäftigt haben - eine Mischung aus Jagd- und Spieltrieb. Und wer einmal Kindern oder auch einer Partie von 40-Jährigen, die sich ohnehin eh alle wieder in Kinder verwandeln, wenn sie Fußball spielen, im Park zuschaut, dem drängt sich doch der Gedanke auf, dass diese Theorie durchaus ihr Fundament besitzt. Alle jagen ständig dem Ball nach, weil sie mit ihm spielen wollen.

Wobei, das Allerschönste - und das sei hier einmal ganz ohne Psychologen festgestellt - ist das Spiel mit dem Ball. Der Haken, der Fersler, der gelungene Pass, der Schlenzer ins Kreuzeck - diese Momente, die, wenn sie aufgehen, einem ein Strahlen wie das eines glücklichen Kindes ins Gesicht zaubern können. Deswegen will man möglichst oft den Ball haben, um möglicht viel mit ihm zu spielen.

Der moderne Profifußballer ist aber ein eigenartiges Wesen. Er will den Ball oft gar nicht haben. Nein, er überlässt ihn gerne und für lange Zeit dem Gegner.

Das heißt, er will den Ball schon haben. Aber nur selten und im richtigen Moment. Oder besser gesagt: Er will ihn im richtigen Moment erobern. Nämlich dann, wenn sich viele gegnerische Akteure gerade in der Vorwärtsbewegung befinden, die Abwehrreihen ungeordnet sind und Lücken aufweisen, die einen Konter in den offenen Raum ermöglichen. Dann stürzen sich die modernen Fußballer plötzlich wie die Jäger auf den Ball und versuchen, durch einen schnellen Angriff die Beute im gegnerischen Tor unterzubringen.

Vorexerziert hat das unter den Viertelfinalisten etwa Schweden. Lediglich 35 Prozent Ballbesitz hatten die Skandinavier beim 3:0-Sieg gegen Mexiko, gegen die Schweiz waren es 37 Prozent. Und auch da hat es funktioniert. Während die Schweizer sich vergeblich abmühten, einen Weg durch die schwedischen Abwehrketten zu finden, lauerte das Drei-Kronen-Team auf den richtigen Moment. Und der kam mit einem abgefälschten Schuss von Emil Forsberg, der das 1:0 und den Einzug in das Viertelfinale bedeutete.

Schweden ist keine Ausnahme, sondern der Trend. Fünf der acht Viertelfinalisten - neben Schweden auch noch Russland, Uruguay, Frankreich und Brasilien - besaßen in ihren Achtelfinali die Kugel seltener als der Gegner. Ballbesitz bringt derzeit keine Titel.

Mit Spanien, Deutschland und Argentinien sind die drei Teams, die ihr Spiel auf Ballbesitz angelegt (und in jedem Spiel Quoten um die 60, 70 Prozent hatten) allesamt ausgeschieden. Sie sind an ihrer Ideenlosigkeit und an den dichten Abwehrreihen der Gegner gescheitert.

Spanien war bei dieser WM nur noch ein Schatten seiner selbst. Früher, zu ihren Glanzzeiten, als sie 2008 und 2012 Europa- und 2010 Weltmeister wurden, haben die Spanier derartige Abwehrriegel geknackt. Und zwar mit viel Kreativität - ein schneller Doppelpass, ein kurzer Haken, ein Fersler, ein Schlenzer ins Eck. Manche spanischen Tore waren Kunstwerke, erschaffen mit Freude am Spiel. Doch momentan ist nicht die Zeit der Spieler. Es ist die Zeit der Jäger.