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Ein Erzengel auf Erden

Von Martyna Czarnowska

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Am Himmel über Piran fehlte etwas: Die Michaelsstatue wurde zur Renovierung vom Kirchturm weggeflogen.


"Wir haben ihn vermisst." Tanja kommt hinter ihrem Pult hervor, schließt die Tür, die ein Tourist offen gelassen hat und wirft dabei einen Blick auf den Tartini-Platz. Dort steht er auf einem kleinen Podest, umringt von posierenden und fotografierenden Menschen: der Erzengel Michael. Aus Kupferblech gefertigt, mehr als drei Meter hoch, an die 320 Kilogramm schwer. Ansonsten schwebt er über der Kirchturmspitze bei der Pfarrkirche des Heiligen Georg, und das schon seit 1769. Das letzte Mal den Boden berührt hat er vor einem guten Jahrhundert, als er - wie in diesem Sommer - renoviert wurde.

Tanja arbeitet in der Touristeninformation im slowenischen Küstenstädtchen Piran. "Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht", erzählt sie. "Und er war immer über den Dächern zu sehen." Doch Anfang August war der Engel weg, der Kirchturm verwaist, und am Himmel über Piran fehlte etwas.

Die Statue musste gründlich saniert werden. Außerdem benötigte Michael einen neuen Flügel. Im Februar fegte ein Bora-Sturm über die istrische Halbinsel und riss einen Teil der bronzenen Federn mit, der dann auf dem von venezianischen Bürgerhäusern umrundeten Platz des Geigers Giuseppe Tartini landete. Im August wurde die Skulptur per Helikopter vom Turm gehoben und nach Ljubljana gebracht, wo sie zwei Monate lang restauriert wurde.

Seit dieser Woche schaut der Erzengel wieder auf Piran und das Meer. Manchmal blickt er auch Richtung Triest in Italien, manchmal auf die kroatische Küste. Die drehbare Figur fungiert nämlich ebenfalls als Wetterfahne und zeigt an, wie sich der Wind dreht. Doch bevor Michael wieder seinen Platz über der Pfarrkirche eingenommen hat, war er, poliert und mit neuen Federn versehen, eben zwei Tage lang auf dem zentralen Platz ausgestellt. Die von Rost angegriffenen alten Flügel lagen neben ihm.

Über die Aktion, wie der Engel wieder auf die Turmspitze gehievt wurde, berichtete auch die slowenische Nachrichtenagentur STA. Sie zitiert unter anderem Verteidigungsminister Karl Erjavec, der den Erfolg der "nicht einfachen Operation" lobte. Es war nämlich die Armee, die Michael, erneut per Hubschrauber, an seinen Platz brachte. Im Einsatz waren Soldaten, die auf Bergrettung spezialisiert sind - "extrem gut ausgebildete Kräfte", wie Erjavec betonte. Minutenlang schwebte der Erzengel an langen Seilen über der Stadt, wie die Christus-Statue in der Eingangsszene zu Federico Fellinis Film "La dolce vita". Es brauchte mehrere Anflüge, um die Figur genau über dem Pfahl hängen zu lassen, auf dem sie die Männer platzierten, die schon auf dem Dach warteten. Als der Engel oben stand, applaudierten die Menschen unten auf dem Tartini-Platz.

Das erste Mal, als Michael aufgestellt wurde, herrschte Venedig über die Stadt. Später kamen die Österreicher, dann die Italiener. Danach wurde Piran jugoslawisch und schließlich slowenisch. Slowenien trat der Europäischen Union bei, das benachbarte Kroatien wurde ebenfalls aufgenommen. Die zwei EU-Mitglieder haben ihren Streit um den Grenzverlauf in der Bucht von Piran noch immer nicht beigelegt. Aber auch das Ende dieses Zwists wird der Engel auf der Turmspitze sehen.