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Wie Schnee im Frühling

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Endlich liegt eine Einigung zwischen Brüssel und London über den Brexit vor - und trotzdem kein Aufatmen nirgends.

Zwar hat Theresa May, die britische Premierministerin, mit der Zustimmung ihres Kabinetts zu dem technischen Einigungsentwurf auf Beamtenebene die erste Runde des politischen Tauziehens für sich entschieden. Doch die heiße Phase steht ihr erst noch bevor. Noch lebt die Chance, dass diese einmal als ihre "finest hours" in die Geschichte eingehen, es könnten allerdings auch ihre "darkest hours" werden.

Seitdem im Juni 2016 eine knappe Mehrheit der Briten für den EU-Austritt gestimmt hat, musste May (und alle ihre Landsleute) mit ansehen, wie die Verhandlungsmacht des Vereinigten Königreichs, immerhin eine Vetomacht im UNO-Sicherheitsrat, gegenüber den verbleibenden EU-27 dahinschmolz wie der Schnee unter der Frühjahrssonne.

Statt bei den Verhandlungen aufs Tempo zu drücken, spielte May auf Zeit. Diese Phase britischer Selbsttäuschung nutzte das kleine Irland, um die EU-Partner auf seine Seite zu ziehen. Tatsächlich haben die Iren früh verstanden, dass der Status des zu Großbritannien gehörenden Nordirlands zum Brexit-Knackpunkt werden wird. Statt ebenfalls auf Zeit zu spielen, ist es Dublin gelungen, alle übrigen 26 EU-Staaten auf eine, nämliche seine Linie zu bringen. Die Verhinderung jeder Form von inner-irischer Grenze wurde so zu einer zentralen Bedingung der EU in den Verhandlungen mit London.

Die Briten hatten offenbar nicht damit gerechnet, dass sich alle EU-26 geschlossen hinter die kleinen Iren scharen, und - noch schlimmer - gegen London. Damit war der Traum von der Rückgewinnung der Kontrolle über die nationalen Angelegenheiten nur noch ein Luftschloss. Tatsächlich sieht der jetzige Kompromiss den Verbleib ganz Großbritanniens in einer Zollunion mit der EU vor.

Das war natürlich auch May klar. Ihre Strategie bestand darin, den Zeitpunkt, zu dem alle Beteiligten ihre Karten aufdecken, so weit wie möglich nach hinten zu schieben. Um so ihre Gegner in der Partei und in der Opposition mit der Drohung eines ungeregelten Brexit selbst unter Druck zu setzen. Viel spricht dafür, dass sogar die feurigsten "Brexiteers" vor einem solchen Chaos zurückschrecken, wenn sie die politische Verantwortung übernehmen müssen. Das gilt auch für Labour. Für Mays härteste Gegner, allesamt Männer, gibt es in der jetzigen Situation wenig zu gewinnen. Jedenfalls noch nicht. Stürzt May, müssten andere versuchen, einen Verhandlungskrieg zu führen, der nicht zu gewinnen ist. Die Maulhelden wären am Ende bloßgestellt.

Doch noch regiert der Konjunktiv. Die Geschichte des Brexit ist noch lange nicht zu Ende geschrieben.