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Gefährlicher Schatten

Von Judith Belfkih

Leitartikel
Judith Belfkih ist stellvertretende Chefredakteurin der "Wiener Zeitung".

Mit dem Flugzeug oder auch mit einem Mausklick an beinahe jeden Ort der Welt reisen, sich über Länder- und Kontinentalgrenzen hinweg informieren, austauschen und vernetzen, Waren aus den entferntesten Regionen im Supermarkt vor der eigenen Haustüre einkaufen. Die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefundene Vernetzung der Welt hat ebendiese massiv verändert und den davor oft schon allein durch die Landesgrenzen beschränkten Horizont ihrer Bewohner deutlich erweitert - und das nicht nur aus Sicht jeder und jedes Einzelnen, auch auf staatlicher Ebene. In den ersten Jahren und Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg schlugen sich die damit einhergehende Abkehr vom Nationalismus und das Zuwenden an die Weltgemeinschaft in der Gründung zentraler Friedensprojekte nieder - von den Vereinten Nationen bis zur Europäischen Union. Die von Kriegen erschütterte Weltgemeinschaft versuchte, aus ihren Trümmern eine stabile Wertegemeinschaft zu schmieden.

Die Schattenseiten der Globalisierung sind längst auf dem Tisch: Weitgehende kulturelle Gleichschaltung, ein global uniformiertes und somit in der Vielfalt verarmtes Warenangebot. Steigende soziale Ungerechtigkeit und Ausbeutung von Schwächeren. Nahrungsmittel, die durch die ganze Welt reisen, um am Zielort im Müll zu landen. Große Konzerne, die ihr globales Netz nur für den eigenen Vorteil nutzen. Länder, die die eigene Bevölkerung trotz fruchtbarer Böden nicht mehr ernähren können. Flüchtlingsströme, die von Süd nach Nord drängen. Mit dem weltweiten Erstarken nationalistischer Strömungen, dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zeigen diese Schattenseiten ganz handfeste politische Konsequenzen.

Der Globalisierung geht die Luft aus, sie droht, von ihrem eigenen Schatten verschluckt zu werden. Debatten wie jene um den UN-Migrationspakt, den immer mehr Länder nicht bereit sind zu unterzeichnen, zeigen noch deutlicher: Die internationale Weltordnung ist löchrig geworden, die gemeinschaftlichen Projekte geraten ins Wanken.

Der G20-Gipfel, der am Freitag in Buenos Aires beginnt, gilt als ein Gradmesser dafür, wie zerrüttet die internationale Staatengemeinschaft ist.

Ob der Gipfel scheitert oder nicht: Die globale Vernetzung wächst. Und damit auch die gemeinsam verursachten Probleme dieser verwobenen Welt. Und die werden sich auch künftig - wie etwa beim Klimawandel - nicht national, sondern nur global lösen lassen. Das globale Dorf ist längst Realität. Das Rad der Zeit und damit die Globalisierung zurückzudrehen, wie es nationalistische Bestrebungen versuchen, wird die Probleme nicht lösen. Im Gegenteil: Sie werden im Ignorieren nur noch mächtiger.