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Gewalt aushebeln

Von Judith Belfkih

Leitartikel
Judith Belfkih ist stellvertretende Chefredakteurin der "Wiener Zeitung".

Was die Wahl des Lehrberufes mit Gewalt gegen Frauen zu tun hat? Mehr als auf den ersten Blick ersichtlich. Denn das naheliegende politische Schräubchen ist nicht immer das langfristig effektivste.

Der zeitliche Planungshorizont politischer Entscheidungen wird in sich beschleunigenden Zeiten nicht länger. Zumal der Echoraum Sozialer Medien nach schnellen, pointierten Reaktionen lechzt. Politiker sind also gefordert, schnelle wie einfache Lösungen parat zu haben - nicht zuletzt, um die selbstgerechten Mechanismen digitaler Lynchjustiz einzudämmen. Die MeToo-Debatte hat gezeigt, wie explosiv und unkontrollierbar diese Dynamiken sind. Das politische Ergebnis ist daher oft ein schnelles Maßnahmenpaket, das sich mitunter den Vorwurf der kurzsichtigen Symbolpolitik gefallen lassen muss. Doch die eigentliche politische Verantwortung beginnt erst dann, wenn diese schnelle Eingreiftruppe fertig ist - sollte sie zumindest.

Die erschreckend hohe Zahl an weiblichen Todesopfern, die im intimsten Umfeld eskalierende Gewalt in den ersten Wochen des Jahres gefordert hat, fungierte als politischer Weckruf. Das Maßnahmenpaket, das die Regierung daraufhin präsentiert hat, dient nicht nur dem Glätten von medialen Wogen. Es soll weitere Frauen vor gewalttätigen Männern schützen. Betroffene aus der Gefahrenzone zu bringen und potenzielle Opfer zu ermutigen, Hilfe zu suchen, sowie Täter durch härtere Strafen abzuschrecken und Aufklärungsarbeit an Schulen auszubauen - das alles sind Maßnahmen, die akute Symptome bekämpfen. Ob sie langfristig Wirkung zeigen, das liegt nicht nur an den noch offenen Details, sondern wird sich an der Frage entscheiden, ob sich die Politik auch die hinter häuslicher Gewalt stehenden Mechanismen näher anschauen wird.

Nicht erst die Dramatik der aktuellen Fälle legt eine gesellschaftliche Schieflage nahe: Sie fußt auch in der nach wie vor nicht gelebten Gleichstellung der Geschlechter. Hier die geeigneten Hebel zu finden und zu betätigen, wird das langfristig effizienteste Mittel sein, um Frauen zu schützen. Was ein solcher Hebel sein könnte, zeigt die aktuelle Lehrlingsstatistik. Die Gehaltsunterschiede zwischen Mädchen und Buben beginnen schon in der Lehrzeit - und steigern sich im Berufsleben exponentiell. Bedenkt man, dass finanzielle Abhängigkeit einer der Hauptgründe ist, warum Frauen gewalttätige Partner nicht verlassen (können), ist die politisch unterstützte Ausgeglichenheit der Gehälter ein naheliegendes Mittel, um das Machtgefälle hinter der Gewalt auszumerzen. Die Gleichstellung von Mann und Frau in Kursen zu erläutern, ist ohne Zweifel wichtig. Diese Parität aber mit einer gelebten gesellschaftlichen Praxis zu untermauern und greifbar zu machen, ist entscheidend. Geld schafft nun einmal auch in dieser Frage die härtesten Fakten.