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Ist der Papst naiv?

Von Hans Kronspieß

Leitartikel
Hans Kronspieß ist Chef vom Dienst bei der "Wiener Zeitung".
© Wiener Zeitung

Der Titel dessen, was Papst Franziskus und Ahmed al-Tayyeb, seines Zeichens Großimam der al-Azhar-Moschee in Kairo, da am Montag in Abu Dhabi unterschrieben haben, nimmt sich nicht gerade bescheiden aus: "Dokument über die Geschwisterlichkeit unter den Menschen für den Weltfrieden und das Zusammenleben". Auf gut Wienerisch lautet das Urteil: Na bumm!

Eine "welthistorische Erklärung" nennen es manche. Andere belächeln die Resolution als ein weiteres internationales Dokument, das das Papier nicht wert sei, auf dem es steht. Was Letztere freilich nicht daran hindert, den Papst für seine Unterschrift heftig zu kritisieren, weil er dem Islam viel zu weit entgegengekommen sei.

Gewiss: Es ist eine Tatsache, dass es im Koran Passagen gibt, die nicht gerade christenfreundlich sind. Ebenso ist es eine Tatsache, dass Christen in vielen moslemischen Ländern verfolgt werden. Und schließlich ist es wahr, dass viele Moslems mit "westlichen Werten" - sagen wir einmal - so ihre Schwierigkeiten haben. Aber kann man deshalb dem Papst Naivität beim Thema Islam vorwerfen? Weiß er nicht, was er sagt, wenn er von den "moslemischen Brüdern" spricht? Ist es ein Zeichen von Schwäche, wenn er sich - so wie vor 800 Jahren sein Namenspatron Franz von Assisi - zu islamischen Machthabern aufmacht?

All diese Fragen lassen sich mit einer Gegenfrage so ziemlich abschließend beantworten: Was, bitte schön, wäre denn die Alternative? Kann es in einer klein gewordenen Welt wie der unseren überhaupt etwas anderes geben als ein unmissverständlich positives Verhältnis der größten zur zweitgrößten Religion? (Exkurs: Wie leicht es da zu Missverständnissen kommen kann, hat man während des Pontifikats Benedikt XVI. gesehen, als die Gesprächskontakte zwischen dem Vatikan und der al-Azhar-Moschee vorübergehend gänzlich eingestellt waren.)

Papst Franziskus ist nicht naiv. Er verfolgt im Gegenteil sehr zielstrebig und bewusst seine Agenda. Nicht zufällig ist daher in dem Abu-Dhabi-Dokument neben einer klaren Absage an alle Formen von Terrorismus und Intoleranz auch von der Forderung einer werteorientierten Politik, die nicht nur ökonomische Interessen verfolgt, die Rede - ein klassisches Franziskus-Thema.

Mit dem Judentum hat der Aussöhnungsprozess der römisch-katholischen Kirche mittlerweile einen Punkt erreicht, hinter den niemand mehr zurück kann. Vieles spricht dafür, dass Franziskus nun dasselbe auch mit dem Islam auf den Weg gebracht hat. Das ist nicht wenig. Nach den Maßstäben der für Christen äußerst wichtigen Bergpredigt ist das sogar sehr viel. "Selig, die Frieden stiften", heißt es dort.