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Depressivum zum Tag

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Was geht bloß im Kopf eines bisher unbekannten Kärntner FSG-Funktionärs im Landesdienst vor, dass er auf Facebook den Bundeskanzler als "Nobelhure der Neonazis" bezeichnet? Nicht einmal anonymisiert, sondern unter eigenem Namen. Sicher, die Entschuldigung folgte prompt, nach einer scharfen Reaktion des Kärntner Landeshauptmanns. Mit einem "Fehler in der Emotion" verantwortete sich der Poster.

Das ist nur ein Fall von vielen. Was geht in all den Menschen vor, die unbequemen Frauen eine Vergewaltigung wünschen, Fremde für mindere Geschöpfe halten oder Nazi- und Rassismus-Vorwürfe locker in die Tasten klopfen?

Zu den letzten unerforschten Geheimnissen gehört die Antwort auf diese Frage: Haben die Sozialen Medien einen neuen Grad an Dummheit, Niedertracht und Gehässigkeit in die Welt gebracht? Oder führen uns Twitter, Facebook & Co nur das ohnehin bestehende Ausmaß menschlicher Charakterdefizite vor Augen? Anders gefragt: Verändern die Neuen Medien unser Verhalten oder halten sie uns nur einen wirklichkeitsgetreuen Spiegel vor? Schwer zu sagen, vor welcher Antwort man sich mehr fürchten muss.

Noch ein Depressivum zum eigentlich sonnigen Wochenende: Mit Bildung kommt man dem erschütternden Phänomen nicht bei (wie überhaupt einiges dafür spricht, dass der Faktor Bildung für die Humanität eines Gemeinwesens ziemlich überschätzt wird). Die permanente Entgleisung der politischen Debatte in den Sozialen Medien muss mit dem Bewusstsein der Entgleisenden zusammenhängen.

Und, falls sich wer fragen sollte, nein: Diese Form von Grenzüberschreitung hat nichts mit dem politischen Standort der Täter zu tun. In ihrer Dummheit, Niedertracht und Gehässigkeit reichen sich die extremen Standpunkte brüderlich die Hand. Apropos Brüder im Geiste: Ohne Anspruch auf wissenschaftliche Überprüfung handelt es sich bei den verbal übergriffigen Personen tatsächlich überwiegend um Männer.

Gegen diese Verrohung lässt sich nur wenig unternehmen, jedenfalls wenig, das ohne Kehrseite auskommt. Die Zeiten sind passé, in denen unsichtbare Normen die Grenzen des öffentlich Sagbaren abgesteckt haben; was nicht verboten ist, will laut gesagt und geschrieben werden. Unbedingt. Alles andere wird, aus unerfindlichen Gründen, von immer mehr Menschen für eine unzulässige Bevormundung empfunden. Werden die Grenzen des Sagbaren per Gesetz immer enger gezogen, ist die Zumutung real. Das Recht, die eigene Meinung zu vertreten, selbst wenn diese dumm und tief ist, ist ein Gut, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzt. Bleiben also wieder nur Appelle, Appelle, Appelle.