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Der Schleier der Zahlen

Von Judith Belfkih

Leitartikel
Stv. Chefredakteurin Judith Belfkih
Stv. Chefredakteurin Judith Belfkih.
© WZ Online

Politische Stile ändern sich. Und damit auch die Strategien, mit denen politische Ziele verfolgt werden. Zuletzt mussten sich Politiker den Vorwurf gefallen lassen, mit Meinung und Stimmungsmache die vermeintlich untrügerische Welt der Zahlen und Fakten vertuschen oder zumindest überlagern zu wollen. Ihre Kritiker rückten darauf meist mit eben diesen in Zahlen gegossenen harten Fakten an, um diese Methode zu entlarven. Mit unterschiedlichem Erfolg. Einmal geschürte und zielgerichtete Emotion - und sei sie noch so ungerechtfertigt - lässt sich selten durch ein paar Ziffern entzaubern oder einfach wegwischen. Das gilt vor allem für Zeiten, in denen Debatten meist nicht mit dem Fokus auf differenzierte und komplexe Argumente geführt werden. Der brodelnde Bauch siegt klar über den kühlen Kopf.

Aktuell lässt sich jedoch eine Strategiewende in der politischen Praxis beobachten, ja geradezu eine Umkehr. Immer wieder, wenn nicht immer öfter sind es Zahlen, die dazu dienen, grundlegende politische Haltungen und Intentionen zu verschleiern. Mit dem politischen Gegner werden diese Zahlen dann gerne haarklein zerlegt, zerpflückt oder anderwertig debattiert. In einen größeren Zusammenhang gestellt werden sie nicht. Das führt dazu, dass die dahinterstehende politische Haltung, die durchaus zu einer emotionalen Debatte führen könnte, unter der Nüchternheit der Zahlen vergraben bleibt.

Die Streichung zusätzlicher Fragen bei der kommenden Erhebung durch die Statistik Austria bezüglich der Arbeitszufriedenheit ist so ein Fall. Das Sozialministerium argumentiert diesen Schritt auch mit potenziellen Mehrkosten und verweist auf den "Grundsatz sparsamer Mittelverwendung", also auf Zahlen. Ein Schelm, wer denkt, die Regierung wolle negatives Echo zum 12-Stunden-Tag unterbinden.

Auch bei den Fotos auf E-Cards brandet die Debatte an Zahlen auf, stand die Frage von Mehrkosten in Relation zum vermuteten finanziellen Schaden durch Missbrauch im Zentrum. Jenseits der Frage, ob die Zahlen in Relation zu den Gesundheitsausgaben nicht eher als Peanuts bezeichnet werden können: Die Debatte, wie durchlässig oder vermeintlich dicht Österreich seine sozialen Systeme ausgestalten soll, fand und findet nicht statt. Doch das wäre die wirklich relevante Grundsatzfrage hinter der Zahlenklauberei.

Was für diese beiden und noch wesentlich mehr Themenfelder gilt: Die Hervorkehrung von - in Relation nicht besonders gewichtigen - Zahlen lenkt von der dahinterliegenden gesellschaftlich relevanten Debatte ab. Unter dem Mantel der Sachpolitik wird sie von allen Beteiligten gar nicht mehr geführt. Nicht besonders sachlich. Die Zahlen haben endgültig ihre Unschuld verloren.