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Mays Coup

Von Siobhán Geets

Leitartikel
Siobhan Geets ist Redakteurin im Europa-Ressort der "Wiener Zeitung".
© Luiza Puiu

Eine knappe Woche vor dem drohenden No-Deal-Brexit ist es so weit: Theresa May hat ihre Verhandlungen mit der Opposition begonnen. Fünf Tage nach dem geplanten EU-Austritt, zwei Jahre nach dessen Verkündung und fast drei Jahre nach dem Referendum geht die britische Premierministerin auf Labour-Chef Jeremy Corbyn zu, um doch noch einen Kompromiss zu finden. In ihrer eigenen Partei stößt May damit auf heftigen Widerstand, aber was bleibt ihr übrig? Mit den Tories ist kein Kompromiss zu finden, im Parlament gibt es keine Mehrheit für ihr Austrittsabkommen und einen No-Deal-Brexit will, abgesehen von den konservativen Hardcore-Brexiteers, wirklich niemand.

Meint May es ernst mit dem Kompromiss, muss sie sich dem Vorschlag der Labour-Partei beugen. Die Sozialdemokraten wollen eine möglichst enge Bindung an die EU: Bei einem Verbleib in der Zollunion geht der Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich weiter wie bisher, allerdings kann London dann keine eigenen Handelsabkommen abschließen. Das Brexit-Lager ist mit diesem Vorschlag nicht zufrieden, doch das ist es auch mit keiner anderen Idee.

May weiß, dass das Parlament die Kontrolle über den Brexit-Prozess übernimmt (und wohl für die Zollunion stimmt), wenn sie nicht bald selbst eine Alternative auf den Tisch legt. Einigen sich May und Corbyn nun, macht es den Eindruck, als hätte die Premierministerin ein Stück weit die Kontrolle behalten. Scheitert der Versuch, dann trägt May die Schuld am No-Deal-Fiasko zumindest nicht mehr alleine.

Fraglich ist, ob Corbyn und seine Partei dabei mitspielen. Der Labour-Chef will Premierminister werden und kämpft seit langem für Neuwahlen. Sich zu Mays Alliiertem zu machen, ist gefährlich. Bisher war der Brexit ein Problem der Konservativen. Einig war sich zwar auch Labour nie: Dem EU-Skeptiker Corbyn stehen viele Abgeordnete gegenüber, die gar keinen Brexit wollen, eine Mehrheit der Sozialdemokraten besteht auf einem zweiten Referendum. Doch bisher trug die Verantwortung jemand anderer. Jetzt hat Corbyn keine Ausreden mehr.

Kommt es wirklich zu einer Einigung und entscheidet sich London für eine enge Bindung an die EU, können künftige Generationen EU-Ratspräsident Donald Tusk und Unterhaussprecher John Bercow danken. Tusk hat sich immer wieder dafür eingesetzt, Milde mit den zerstrittenen Briten walten zu lassen - und den Brexit nach hinten zu verschieben. In London hat Bercow dafür gesorgt, dass das Parlament beim EU-Austritt mitreden darf. Ohne ihn hätte es die Konsenssuche der Abgeordneten vielleicht gar nicht gegeben. Und es wäre nie herausgekommen, dass eine Mehrheit für den Verbleib in der Zollunion möglich ist.