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Eiferertum statt Toleranz

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Es war eine Wahl der Superlative in Indonesien, im viertgrößten Land der Welt (gemessen an der Bevölkerung: 193 Millionen Wahlberechtigte auf mehr als 6000 Inseln - insgesamt besteht der Archipel aus 17.508 Inseln) waren am Mittwoch zu Präsidenten- und Parlamentswahlen aufgerufen.

Erstmals in der Geschichte des Landes wurden der Präsident, der Vizepräsident sowie das Parlament am selben Tag gewählt. Zum Vergleich: In den USA mit ihren 325 Millionen Einwohnern wird an einem Tag neben dem Präsidenten nur ein Teil des US-Kongresses gewählt, in Indien, der zweitgrößten Nation (gemessen an der Bevölkerung) und der größten Demokratie der Welt, zieht sich der Mega-Wahlgang über insgesamt sechs Wochen hin.

Nach ersten Ergebnissen wurde Joko Widodo mit 55 Prozent wiedergewählt. Jokowi, wie der bisherige Präsident überall im Land genannt wird, hätte sich demnach gegenüber seinem Konkurrenten Prabowo Subianto, einem ehemaligen Armeegeneral, durchgesetzt. Prabowo eilte ein schlechter Ruf voraus: Er wird mit einem Massaker in Osttimor, bei dem im Jahr 1983 fast 300 Menschen ermordet wurden, in Zusammenhang gebracht. Bei den Unruhen in Jakarta, die zum Abgang von Präsident Suharto führten, ermordeten Mitglieder der Prabowo unterstellten Kopassus-Truppen Anhänger der Demokratiebewegung.

Als Jokowi 2014 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde, sahen die jungen, urbanen, eher säkular orientierten Wählergruppen ihn als Hoffnungsträger. Auch Christen, Hindus und Buddhisten erhofften sich von ihm eine Stärkung der Minderheitenrechte.

Diese erste Euphorie ist längst dahin: Denn um sich den Sieg zu sichern, hat Jokowi die Religionskarte gezückt. Jokowi holte sich den 76-jährigen Prediger Ma’ruf Amin an die Seite, um sich die Stimmen der konservativen Muslime zu sichern. Ma’ruf Amin ist eine der treibenden Kräfte der Islamisierung des Inselstaats. 2016 war er einer der Organisatoren der Proteste gegen den christlichen Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, besser bekannt als Ahok, dem Blasphemie vorgeworfen wurde. Ahok wurde ins Gefängnis geworfen, die religiösen Minderheiten und säkularen Kräfte im Land waren entsetzt. Politische Beobachter sahen in der Kampagne gegen Ahok eine Hexenjagd, die mit dazu beitrug, ein politisches Klima der Intoleranz und des religiösen Eiferertums zu schaffen. Zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur ist die Demokratie seit dieser Kampagne wieder auf dem Rückzug. Dabei bräuchte Indonesien dringend ein pluralistisches Narrativ: Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich christliche Gebiete wie etwa das rohstoffreiche West-Papua abspalten und die interreligiösen Konflikte zunehmen.