Zum Hauptinhalt springen

Und sie bewegt sich doch!

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.
© privat

Die EZB muss in Zeiten hoher Inflation als Sündenbock herhalten.


Jahrelang wurden Ökonomen, die angesichts der herrschenden Liquiditätsschwemme vor Inflation warnten, belächelt, wie dies sonst nur alte, weiße Männer erleben. Die wahre Bedrohung, hieß es, sei die Deflation, die sich in zu niedrigen Preissteigerungen unter dem magischen Wert von 2 Prozent ausdrücke. Aktuell liegt die Inflation bei rund 8 Prozent! Rasch werden die dramatischen Auswirkungen so hoher Geldentwertung und ihrer Bekämpfung auf die gesamte Volkswirtschaft (Stagflation) und vor allem auf untere Einkommensschichten evident. Und als Sündenbock steht die Europäische Zentralbank (EZB) in der Kritik: ihre Geldpolitik sei zu locker gewesen, ihre nunmehrige Reaktion zu spät.

Was sind die wichtigsten Schlussfolgerungen aus dieser misslichen Lage?

Inflation ist kein "Kavaliersdelikt", sondern kann zur völligen Zerrüttung von Wirtschaft und Gesellschaft führen. Ihre Bekämpfung ist möglicherweise schwerer als die einer Deflation, allein schon, weil Geld- und Fiskalpolitik in Konflikt stehen.

Eine zu lockere Geldpolitik muss nicht zu Inflation führen, aber sie schafft das Liquiditätspotenzial, das die Entfaltung angebotsseitiger und nachfrageseitiger Inflationstreiber ermöglicht und fördert.

In einer stark vernetzten Weltwirtschaft müssen Wechselkursbewegungen expliziter in geldpolitische Überlegungen einfließen. Wegen des gegenüber dem US-Dollar schwachen Euros importieren wir noch zusätzliche Preissteigerungen.

Hohe Inflationsraten stärken die Gewerkschaften, die selbstverständlich für den Kaufkrafterhalt der Löhne kämpfen, was - ungebremst - in eine Lohn-Preisspirale mündet.

Viel mehr Aufmerksamkeit sollte den Auswirkungen hoher Inflations- und Zinsraten auf die Unternehmensbilanzen geschenkt werden, insbesondere auch der Finanzdienstleister. Massive Wertverluste bei den festverzinslichen Aktiva als Folge ursprünglich zu lockerer Geldpolitik können Finanzkrisen auslösen.

Die EZB ist mit Mehrfach-Dilemmata konfrontiert. Ihr Statut gibt eindeutig der Erhaltung der Preisstabilität Vorrang. Die unterschiedliche Wirtschaftsstärke und Fiskalsituation der Staaten in der Eurozone verlangten eine nicht erlaubte Differenzierung der geldpolitischen Behandlung. Die EZB hat neben ihrer geldpolitischen Funktion auch wichtige Aufsichtskompetenzen über größere Banken, die bis zu deren Abwicklung gehen können. Auch wenn die beiden Funktionen intern durch "Chinese Walls" getrennt sind - im Leitungsgremium, dem EZB-Rat laufen sie zusammen. Im Endeffekt kommt es statt Klarstellungen zu Überdehnungen des EZB-Mandats und damit zu Intransparenz. Bei allem Verständnis für die Schwierigkeit von Inflationsprognosen in Zeiten wie diesen schmerzt es, sich an die Herbstprognose des vorigen Jahres zu erinnern, wonach 2022 die Inflation auf 1,7 Prozent zurückgehen werde.

Zuletzt noch eine Idee, die vom Tisch sein sollte: der Verzicht auf die strengen Budgetregeln für EU- und insbesondere Euro-Staaten nach 2023. Die Kombination unangemessen lockerer Geldpolitik und libertinärer Fiskalpolitik führt unter den gegebenen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ins Chaos.