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Vertreter einer raren Spezies

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

"Viel Zeit können wir uns nicht mehr leisten", hatte noch am Dienstag Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Eile bei der Bestimmung des nächsten EU-Kommissars aus Österreich gemahnt. Am Donnerstag erklärte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, dafür erneut Amtsinhaber Johannes Hahn zu nominieren.

Diese Personalie hatte durchaus Eskalationspotenzial, ist doch dafür ein einstimmiger Beschluss der Regierung im Ministerrat sowie eine Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats notwendig. In normalen Zeiten genügt der Konsens der Regierungsparteien, doch Österreich hat derzeit mit ÖVP, SPÖ und FPÖ gleich drei Regierungsparteien - und irgendwie auch gar keine. Alle drei hatten deshalb die Möglichkeit, ein Veto einzulegen.

Dass SPÖ und FPÖ dieser Versuchung widerstanden haben, darf als gute Nachricht für das Land verstanden werden. Nicht, weil damit der Posten des EU-Kommissars weiterhin in der Hand der ÖVP bleibt (deren Sieg bei der EU-Wahl ist ein politisches, kein rechtliches Argument). Sondern weil damit ein rarer Beleg erbracht wird, dass die drei mittleren Parteien noch konsensfähig sind, wenn nicht für alle ein Vorteil abfällt.

Bis vor wenigen Wochen hatte sich Hahn bereits mit dem Gedanken angefreundet, keine dritte Periode mehr in Brüssel anzuhängen. Die eigene Partei liebäugelte mit anderen Optionen, allen voran mit Ex-Staatssekretärin Karoline Edtstadler. Doch dann würfelte das Ibiza-Video alle Gewissheiten in der Innenpolitik durcheinander.

Möglich, obwohl längst nicht gewiss, dass Sebastian Kurz als Kanzler für seine Personalwahl ein gewichtiges Ressort ausverhandelt hätte. Brigitte Bierlein kann als Übergangskanzlerin kein ebenbürtiges Gewicht in die Brüsseler Waagschale werfen. Von daher ist die Entscheidung für Hahn mehr als nur naheliegend, ja fast zwingend gewesen. Alles andere hätte an absichtliche Selbstverzwergung gegrenzt.

Der ehemalige Wissenschaftsminister, Manager und Obmann der ÖVP Wien, wurde bereits 2010 als Kompromisskandidat mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP nach Brüssel geschickt. Seitdem hat er sich dort den Ruf eines Vollprofis erworben, der ruhig, kompetent und beharrlich eine oft heikle, aber enorm wichtige Agenda als Kommissar für die geopolitisch stets gefährdete Nachbarschaftsregionen der EU abarbeitet.

Solche über die Parteigrenzen anerkannten Politiker findet sich in Brüssel noch zuhauf. In Österreich sind fähige Männer und Frauen, die zwar eindeutig einer Partei angehören, aber trotzdem von allen Parteien gleichermaßen geschätzt werden, eine rare Spezies geworden. Johannes Hahn ist einer aus dieser bedrohten Art.