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Mehr Wald ist zu wenig

Von Ronald Schönhuber

Leitartikel

Was Forscher der ETH Zürich vor kurzem mit Hilfe von künstlicher Intelligenz berechnet haben, klingt ebenso faszinierend wie hoffnungsvoll. Laut den beiden Wissenschaftlern Jean-Francois Bastin und Tom Crother muss die Menschheit nur genug neue Bäume pflanzen, um das Klimawandelproblem nachhaltig zu entschärfen.

So würden bei einer Vergrößerung der derzeit weltweit existierenden Waldbestände um 30 Prozent fast zwei Drittel des seit Beginn der industriellen Revolution in der Atmosphäre angefallenen Kohlendioxids gespeichert werden. Die vor vier Jahren in Paris vereinbarten Zielen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter zwei Grad könnte damit noch erreicht werden - ganz einfach und noch dazu ohne große Schmerzen.

Aufforstungsprojekte haben in der Klimadebatte dementsprechend Konjunktur. So hat die äthiopische Regierung vor kurzem angekündigt, bis zum Oktober vier Milliarden neue Bäume pflanzen zu wollen. Und auch in China, Costa Rica, Island und der EU sollen neue Wälder entstehen.

Doch bei der Bekämpfung des Klimawandels - und auch das ist eine der unbequemen Wahrheiten, die der nun vorgelegte Sonderbericht des Weltklimarates IPCC ganz deutlich zeigt - gibt es keine einfachen Lösungen und schon gar kein Allheilmittel. Denn wo neuer Wald entsteht, fehlt der Platz für Ackerflächen. Und schon jetzt ist die Sicherheit der Lebensmittelversorgung in vielen Ländern in Gefahr. Denn mit der nach wie vor rapide wachsenden Weltbevölkerung bleibt nicht nur immer weniger landwirtschaftlich nutzbare Fläche pro Mensch über.

Der Klimawandel hinterlässt auch schon jetzt seine zerstörerischen Spuren: Einst fruchtbare Böden vertrocknen und Extremwetterereignisse wie Wirbelstürme und sporadische, aber dafür umso heftiger auftretende Niederschläge vernichten ganze Ernten.

Die ohne Zweifel notwendige Aufforstung wird daher das Klima ebenso wenig alleine retten wie die Hoffnung auf synthetisches und CO2-neutrales Flugbenzin - dafür ist das Problem zu groß und zu komplex. Erfolge im Kampf gegen die Erderwärmung werden nur dann möglich sein, wenn es tatsächlich Bewegung auf allen Ebenen gibt. Das betrifft zuallererst die Staaten, die trotz immer neuer Hitzerekorde beim Klimaschutz kaum weiter kommen. So hat etwa von den G-20-Staaten noch kein einziges Land einen Aktionsplan vorgelegt, mit dem sich die Pariser Klimaziele erreichen lassen. Aber es betrifft auch Verbraucher und Unternehmen, die viel wendiger als Regierungen sind. Sie haben es in der Hand, ob sie ein Elektroauto kaufen, statt dem Flugzeug die Bahn nehmen, weniger Rindfleisch essen und CO2-intensive Unternehmen aus ihren Portfolios und ihrem Zuliefererbestand streichen.