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Der Sieg war das Einfachste

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Wenn Johnson glaubt, er sei am Ziel, dann irrt er sich. Sein Job hat erst begonnen.


Dieses Wahlergebnis lässt wenig Raum für Zweideutigkeiten: Premier Boris Johnson hat die Tories mit "Get Brexit Done" zur größten Mehrheit seit den - aus konservativer Sicht - guten alten Zeiten von Margaret Thatcher geführt; Jeremy Corbyn hinterlässt Labour als Trümmerhaufen; die pro-europäischen schottischen Nationalisten holten 80 Prozent der Mandate im Norden; die ebenfalls EU-freundlichen Liberaldemokraten sind politisch irrelevant; und der Brexit-Party des Medien-Phänomens Nigel Farage gelang gar das Kunststück einer Nullnummer.

Das sind die Fakten der britischen Wahlen nach dem Mehrheitssystem. Betrachtet man die relativen Stimmenanteile, ergibt sich ein weit differenzierteres Stimmungsbild (wenngleich Wahlsysteme das Stimmverhalten teils massiv verändern): Die Tories erhielten 43,6 Prozent (plus 1,2), Labour 32,2 (minus 7,8), die Liberaldemokraten 11,5 (plus 4,2). Schottlands SNP blieb übrigens mit 45 Prozent einmal mehr deutlich unter der absoluten Stimmenmehrheit. Dies als "starkes Mandat" für die Unabhängigkeit zu interpretieren, wie es die SNP tut, ist gewagt.

Johnson hatte vor der Wahl um eine klare Mehrheit bei den Wählern geworben. Nun hat er sie bekommen. Was wird er damit anfangen? Das hängt zuallererst von der Antwort auf die Frage ab, welcher Typ Politiker in Johnson versteckt ist. Kann er sich von der Karikatur eines Staatsmanns befreien, die er im Wahlkampf gespielt hat? Vermag er, sich selbst zu einer Überzeugung durchzuringen, die sich, außer dem Erwerb und dem Erhalt der Macht, noch einer höheren Idee politischer Gestaltung widmet? Meint er tatsächlich ernst, was er im Wahlkampf versprochen hat: nämlich die Gräben im vielfach gespaltenen Vereinigten Königreich zu überwinden? Oder ganz kurz gefragt: Steckt ein echter Politiker mit Gestaltungswillen im clownesken Exzentriker?

Möglich, dass diese Fragen zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal Johnson selbst beantworten kann. Aber die kommenden Monate und Jahre werden es mit Sicherheit beantworten. Der Wahlsieg war - mit Corbyn als Gegner - zweifellos die leichteste Aufgabe. Was jetzt wartet, hat ein anderes Kaliber: Es gilt, ein Freihandelsabkommen mit der EU zu verhandeln, was beide Seiten fordern wird; es gilt, Schottland im Vereinigten Königreich zu halten; und es sind die sozialen wie mentalen Gräben zwischen der vernachlässigten Peripherie und der Metropole London zu überwinden. Sollte Johnson glauben, er sei am Ziel, liegt er schwer daneben. Sein richtiger Job hat eben erst begonnen. Es wäre Großbritannien zu wünschen, dass er seiner Aufgabe gewachsen ist. Sicher ist das leider nicht.