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Politisch souverän

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Angeblich hatte ja Türkis-Blau das Höchstgericht ausgehebelt. Die Fakten sagen etwas anderes.


Die gute Nachricht zuerst: Österreichs verfassungs- und grundrechtliches Sicherungssystem funktioniert. Daran gab es schon in der Vergangenheit wenig Grund zu zweifeln, auch wenn die gewohnheitsmäßig aufgeregte Debatte um Neubesetzungen dessen nahendes Ende heraufbeschwören. Nichts davon ist eingetreten. Wenigstens die "Hüter der Verfassung" zeigen, dass sie sich keiner Regierung und keiner Partei verpflichtet fühlen.

Ginge es allein nach der parteipolitischen Farbenlehre bei der Ernennung, würde Türkis-Blau seit 2018 über eine satte Mehrheit von 8:5 verfügen (der Präsident, die Präsidentin ist derzeit unbesetzt, da Brigitte Bierlein derzeit als Kanzlerin amtiert, und auch nur im seltenen Fall von Stimmengleichheit stimmberechtigt). Und trotzdem hat nun das Höchstgericht mit der Sozialhilfe Neu zum wiederholten Mal ein Leuchtturmprojekt der ehemaligen Regierung in zentralen Fragen aufgehoben.

Erst vergangene Woche widerfuhr dieses Schicksal dem türkis-blauen Sicherheitspaket, mit dem das Mitlesen verschlüsselter Nachrichten und die automatische Erfassung von Autokennzeichen hätten ermöglicht werden sollen. Bei der Kassenfusion im Gesundheitsbereich haben die Richter zwar die paritätische Besetzung des Verwaltungsrats der neu geschaffenen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber für zulässig erklärt, dennoch aber das Prinzip der Selbstverwaltung gegenüber dem Gesetzgeber bestätigt und sogar gestärkt. In Summe kommt dies einer verfassungsrechtlichen Generalabrechnung des VfGH mit Türkis-Blau ziemlich nahe.

Losgelöst von den konkreten Entscheidungen demonstriert dies überdeutlich, dass der Verfassungsgerichtshof in voller parteipolitischer Unabhängigkeit Recht spricht. Dabei ist das Richterkollektiv zwingend ein politisches Gericht; wie sonst auch sollte über geltendes Recht zu Gericht gesessen werden? Und deshalb hat wohl auch noch niemand eine bessere Alternative zur bestehenden Nominierung durch Nationalrat, Bundesrat und Bundesregierung gefunden.

Die einzige verlässliche Versicherung gegen unliebsame Einsprüche des Höchstgerichts ist es, wenn Regierungen ihre Vorhaben per Zweidrittelmehrheit in Verfassungsrang erheben. Das war in den vermeintlich guten alten Zeiten der großen Koalition gang und gäbe. Nicht zuletzt deshalb ist die real existierende Verfassung nur in ihrem Kernstück, dem Bundes-Verfassungsgesetz, von einnehmender Eleganz und im Rest ein wildes Kraut-und-Rüben-Durcheinander. Es sind diese Zeiten der politischen Selbstherrlichkeit, zu denen es kein Zurück geben darf.