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Putins dritte Dekade

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Putin hat einer Europäisierung Russlands eine Absage erteilt.


Vor 20 Jahren traf ein mächtiger Mann eine folgenreiche Entscheidung. Der damalige russische Präsident Boris Nikolajewitsch Jelzin entschied sich für Wladimir Wladimirowitsch Putin als seinen Nachfolger. Am 31. Dezember 1999 erfuhren die verblüfften russischen Bürger von Jelzins Coup: Russland sollte mit einem neuen Präsidenten ins neue Jahrtausend gehen. Um Mitternacht tauchte Putin - der in einer Blitzkarriere in wenigen Monaten zum Premier aufgestiegen war - auf den Fernsehschirmen auf und hielt eine dreieinhalbminütige, für den Jahrtausendwechsel eigentlich recht uninspirierende Rede. An deren Ende sagte Putin, die Bürgerinnen und Bürger mögen ihr Glas für ein neues, russisches Jahrhundert erheben. Dabei hielt der frischgebackene Präsident selbst gar kein Glas in der Hand.

Seit dem Jahr 2000 ist Putin nun also im Amt, diesen Donnerstag hielt er nun seine alljährliche Jahrespressekonferenz. Diese Putin-Show gehört mittlerweile zur Jahresende-Folklore. Genauso wie die Sowjet-Schnulze "Ironie des Schicksals" aus dem Jahr 1975, die jedes Neujahr im russischen Fernsehen gespielt wird. Dieser Film ist in Russland genauso Kult wie die NDR-Produktion "Dinner for One" aus dem Jahr 1961, die Kultstatus genießt und Jahr für Jahr in den deutschsprachigen Fernsehsendern im Silvesterprogramm nicht fehlen darf.

Bei seiner Jahrespressekonferenz gab es nicht viel Neues aus Putins Mund: Der Klimawandel betreffe auch Russland massiv, aber welche Rolle der Mensch dabei spiele, wisse man nicht so recht. In der Impeachment-Frage folgte Putin - wenig überraschend - der Argumentation seines Adoranten Donald Trump. Immerhin zügelte er seine Rhetorik in Bezug auf die Ukraine.

Aber was soll Putin nach all den Jahren auch noch Neues bieten?

Eine ganze Generation von jungen Russen kennt heute nur ein Russland, in dem Putin als Herr im Kreml sitzt.

Bald schreiben wir das Jahr 2020, und es ist glasklar, welche folgenreiche Entscheidung Jelzin als erster frei gewählter Präsident Russlands im Jahr 1999 getroffen hat. Jelzins Umgebung hatte damals gehofft, dass Putin den Weg der Öffnung weitergehen würde. Hätte Jelzin damals für den 1. Jänner 2000 nicht Putin, sondern jemand anderen zum Kronprinzen auserkoren, dann wäre Russland heute vielleicht ein freieres, offeneres und möglicherweise auch wohlhabenderes Land.

Denn trotz der Öl- und Gasvorkommen, der Bodenschätze, der Wald- und Ackerflächen und der schier unendlichen Landmasse ist die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung niedriger als in jedem Land der EU (ausgenommen Bulgarien). Doch einer Europäisierung Russlands hat Putin eine klare Absage erteilt.