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Genug überhöht

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Türkis-Grün ist spannend. Man kann es mit dem Überhöhen aber auch übertreiben.


Auf den Gedanken, dass die heute, Dienstag, anzulobende türkis-grüne Koalition eine ziemlich normale Regierung ist, kommen weder die entschlossensten Gegner noch die freudestrahlendsten Anhänger dieses für viele so besonderen Bündnisses.

Wobei auch hier Unterscheidungen geboten sind: Denn mit der Radikalität der Überzeugungen gleichen sich auch die Begriffe an. Und zwar so weit, dass sie im wortidenten Unsinn schließlich ganz zusammenfinden: Rechts- wie Linksextreme sehen in Türkis-Grün nämlich ausgerechnet "Öko-Faschismus". Wem bei dieser Zusammenarbeit ausgerechnet und zuallererst "Faschismus" einfällt, der muss schon über eine ganz eigene mentale Verfasstheit verfügen.

Doch zurück zu Türkis-Grün:
Es muss in den späten 1980ern gewesen sein, als auch hierzulande begonnen wurde, in Dimensionen von "politischen Projekten" zu fantasieren, wenn es doch nur um Koalitionen geht, die unser repräsentativ-parlamentarisches System bei fehlender absoluter Mehrheit eben notwendig macht.

Das war schon bei Rot-Schwarz immer lächerlich (mehr als das gemeinsame "Projekt" des EU-Beitritts ist den Anhängern dann ja auch nie eingefallen), und trotzdem geht es damit weiter bei Rot-Grün, Schwarz-Blau und jetzt eben Türkis-Grün. Stets ist von einem gesamt-gesellschaftlichen Projekt die Rede, das Land und Leute über diese oder jene Klippe der menschheitsgeschichtlichen Erneuerung zu führen habe. Oder so ähnlich. Für solche Kategorien sind die Denker aller Lager anfällig.

Die große Ausnahme ist Rot-Blau. Für Bruno Kreisky, den roten Sonnenkönig, war dieses Bündnis zwar auch immer ein großes Projekt; allerdings eines, dessen höchster Zweck es war, die ÖVP von der Macht fernzuhalten. Im Burgenland hält es Hans Peter Doskozil übrigens ziemlich ähnlich. Doch kühler Machiavellismus bringt selten gute Presse.

Dabei ist dies doch das Hauptmotiv für jede Koalition und jeden Partner: möglichst viele der eigenen Interessen - egal, welche - durchsetzen. Ob und wie dies gelingt, das bestimmen die zur Verfügung stehenden Alternativen. Parteien beziehungsweise ihr Spitzenpersonal sind hier radikale Opportunisten. Die Rede vom Staats- und Gemeinwohl muss dennoch nicht falsch sein, schließlich zählt auch der Wunsch nach Wiederwahl zu diesen Eigeninteressen.

Dieser Zugang hat den Vorteil, keinen überschießenden Erwartungen nachzuhängen, die meistens nur in Enttäuschung münden. Den Mächtigen sollten Bürger wie Medien stets mit gesundem Skeptizismus gegenübertreten. Überraschen lassen kann man sich ja immer noch.